Die materielle Lage der Bauern

Veröffentlicht in Kulturgeschichte

Die Bauern des luxemburgischen Landes stehen sich in ihren Rechten und Pflichten nicht einander gleich, da die einen seit dem Verschwinden der Sklaverei nur das Mindestmass persönlicher Freiheit erhalten haben; das sind die Leibeigenen, die armen Leute, wie die Herren sie nennen. Höher als sie stehen die Leibeigenen, namentlich der Ardennen auf den Besitzungen der Abtei S. Maximin, die zwar ihrem Herrn gegenüber ebenso verpflichtet sind, wie die gewöhnlichen Leibeigenen, aber daneben das Recht der Freizügigkeit besitzen. Höher als sie sind die schaff und dienstfreien Bewohner der fürstlichen Domänen, die nicht etwa, wie der Name es anzudeuten scheint, frei sind von Renten und Diensten, die sie ihrem Herrn, dem Fürsten, schuldig sein könnten, sondern die vielmehr, vermittels der Renten, die sie bezahlen, und der Dienste, die sie leisten, annähernd dieselbe Freiheit besitzen wie die Bürger der Städte. An höchster Stelle stehen die Bürger der kleinen Ackerbau treibenden Städte, die ihrer Beschäftigung nach nichts anderes als Bauern sind, und die Freileute, die francshommes, die besonders in den Ardennen sehr zahlreich und ein Mittelding zwischen den gewöhnlichen Freien, den Bürgern und dem Adel sind.Die Oma früherWie gross ist nun im Durchschnitt ein Bauerngut, das, was gewöhnlich als leibeigene Vogtei bezeichnet wird? Welche Rechte hat der Bauer in bezug auf die Bebauung seines Landes und auf das Gemeindeeigentum? Welche Pflichten und Lasten hat er gegenüber dem Herrn, der Kirche, der Gemeinde u. dem Staate zu tragen? Die Beantwortung dieser Fragen wird uns die materielle Lage des Bauern kennen lernen. Als grundlegend für die Grösse der Vogtei ist die Hufe anzusehen, allerdings ihrerseits keineswegs überall dieselbe Ausdehnung besitzt; es giebt Hufen von 30, von 60, von 64, von 120 und 160 Morgen Landes. Die Hufe von 30 Morgen findet sich im Laufe des zehnten Jahrhunderts, wo ein der Abtei Echternach zu Christnach gehörendes Gut, ausser dem durch das Haus und die Nebengebäude besetzten Raum und den Wiesen dreissig Morgen Ackerland besitzt, wozu noch sechzehn Morgen Rottland u. 24 Morgen Bifang zum Roden hinzukommen, so dass der Hof, vollständig ausgebaut, 70 Morgen umfasst. Häufig erscheint die Hufe von 64 Morgen, nur ist diese im vierzehnten Jahrhundert und noch später wohl nur in seltenen Fällen intakt; zu Schifflingen und Esch an der Alzette besitzt das Kloster Mariental im Jahre 1317 zwei und achtzig quartalia, d. h. Viertelhufen zu sechzehn Morgen, und zu Wolkringen bei Arlon 44 quartalia von derselben Grösse; hier besitzen die einzelnen Untertanen des Klosters je ein quartale, ein halbes, anderthalbes, zwei quartalia; die alte Hufe ist demnach nicht nur schon in vier geteilt, d.h. aus einem alten Gut sind vier gemacht worden, sondern die Verteilung geht schon weiter und bildet halbe Viertel, wogegen einzelne Untertanen ihr Viertel durch Erwerbung eines halben oder eines ganzen Viertels vergrössert haben. Wenn es in dem Weistum von Rodenborn aus dem Jahre 1568 heisst, jeder Hof (Vogtei) soll 32 Morgen Land haben, und wer nicht soviel habe, soll das Fehlende im Hofbusch nehmen, so haben wir damit wiederum die Hufe von 64 Morgen, in zwei Halbhufen von je 32 Morgen geteilt. An diese quartalia erinnert der Flurname Quärte. Im Ösling finden wir die Königshufe von 120 bis 160 Morgen, vorwiegend aus Rottland bestehend.


Es liegt auf der Hand, dass die Vogteien des späteren Mittelalters und der Neuzeit nicht mehr genau die Ausdehnung der alten Hufe haben können, weil sie im Laufe der Zeiten entweder durch Erwerbung von Ländereien oder durch Zusammenlegen zweier Vogteien grösser geworden sind, und weil anderseits in vielen Fällen aus Teilen der alten Vogteien neue gebildet worden, deren Grösse auch nicht entfernt an die der alten Hufen erinnert. Wir besitzen bis jetzt nur eine einzige gedruckte Arbeit, aus der wir, für das achtzehnte Jahrhundert, die Grösse der Vogteien eines ganzen Dorfes kennen lernen; es ist eine Programmarbeit des Herrn Professors Wolter, erschienen im Jahre 1915, und behandelt die Ortschaften Esch an der Alzette und Monnerich. Dieses Dorf zählt 74 Vogteien; von diesen besitzen, ausser dem Gartenland und den Wiesen, 53 zwischen 12 und 70 Morgen Ackerland, die meisten von ihnen zwischen 30 und 50; 21 andere haben erheblich weniger, einer nur 60 Ruten Ackerland und 10 Ruten Wiese, ein anderes 1 Morgen 80 Ruten Ackerland, 80 Ruten Garten und 40 Ruten Wiese. Die ersteren sind zweifelsohne diejenigen Vogteien, die schon seit vielen Jahrhunderten bestanden haben, die anderen ebenso sicher neue Vogteien, die durch Zerreissen der alten gebildet worden. Namentlich im Verlauf des achtzehnten Jahrhunderts, als infolge des langjährigen Friedens und des wachsenden Wohlstandes die Bevölkerung derart wuchs, dass die Zahl der bestehenden Vogteien und Häuser nicht mehr allen eine selbständige Existenz erlaubte und sehr viele als Beiwohner in der Nähe der Dörfer nur sehr widerwillig geduldet wurden, ohne dass man ihnen dieselben Rechte wie den Einigs- oder Einsmännern gewährte, in dieser Zeit haben manche Herren und namentlich Klöster aus zum Teil sehr kleinen Teilen der alten Vogteien neue gebildet.


 So tritt am 23. Dezember 1760 Karl Meyer von Rollingen, leibeigener Untertan der Abtei Münster und Besitzer der Meyersvogtei, dem Heinrich Crelo, Schneider zu Rollingen, und dessen Frau Katharina Meyers ein zu seiner Vogtei gehöriges Stück Garten von zwanzig auf vierzehn Schuh (c. 30 Quadratmeter) Oberfläche zur Erbauung eines Hauses ab, wogegen Crelo und seine Frau auf die Möbel der Meyersvogtei verzichten. Benedikt, Abt von Münster, gibt seine Einwilligung unter der Bedingung, dass Crelo und seine Erben und Nachkommen auf ewig seine leibeigenen Untertanen und Leute sein werden und, im Fall eines Verkaufs den zehnten und einer Verpfändung den zwanzigsten Pfennig bezahlen werden, wohlverstanden, dass Verkauf und Verpfändung nur stattfinden dürfen, nachdem der Abt zuvor seine schriftliche Einwilligung erteilt hat. Die Besitzer der neuen Vogtei werden den Abt und dessen Nachfolger als ihren rechtmässigen Hoch-, Mittel- und Grundgerichtsherren anerkennen, dem Abkauf unterworfen sein, bei Einverheiratung ihrer Kinder die Einwilligung des Abtes ausbringen, allen anderen Schuldigkeiten und Dienstbarkeiten der Leibeigenen unterworfen sein, nie das Geringste ohne Herrenerlaubnis verkaufen, veräusseren, verteilen, versetzen, verpfänden, vertauschen, beschweren noch sonst verwenden, "bei peen dass gemeltes haus alsogleich berufen und unserem gotteshaus zuvolg hiesigem, allgemeinen landsbrauch zuerkent werden sollen." Der Abt fügt die weitere Bedingug hinzu, dass das Haus in Zukunft Crelosvogtei heissen und die Besitzer Ihr lieh von 1761 an auf Stephanstag einen Kapaun und einen Schilling (c. 5- Centimes) zahlen sollen, aber natürlich unbeschadet aller anderen leibeigenen Pflichten und Lasten.


Wir haben damit das Beispiel einer jener Lilliputvogteien, wie sie eben nur unter ganz besonderen Verhältnissen gebildet werden konnten, und trotzdem mit allen Lasten der anderen leibeigenen Vogteien beladen waren. Wohl zu beachten ist, dass durch den eben angeführten Vertrag die fragliche Meyersvogtei um ein allerdings nicht bedeutendes Stück Garten verkleinert wird, aber dass die schuldigen Renten und Dienste dieselben wie vorher bleiben, während die Abtei von der neuen Vogtei neue Renten und Dienste fordert. Ein großer Übelstand bestand darin, dass namentlich die Güter der freien Bauern immer mehr zersplittert wurden, derart dass z. B. im Jahre 1782 die 133/8 Morgen Land des Foutzhaus von Rosport in nicht weniger als 28 Parzellen verteilt waren, von denen die kleinste nur ein Achtel eines Morgens umfasste, die grösste anderthalb Morgen; dass überall die vielen kleinen und grossen Landstücke, die zu einer Vogtei gehörten, über den ganzen Bann verstreut lagen und die rationelle Bebauung demnach sehr viel Zeitverlust und viel unnütze Arbeit verursachte.

Dasselbe ist ja freilich auch heute noch der Fall, aber es wird wenigstens durch eine grosse Menge von Vizinal- und Flurwegen dafür gesorgt, dass der Bauer mit seinem Gespann ohne allzugrosse Mühe überallhin gelangen kann. Nur machte sich dieser Übelstand in früheren Zeiten umso fühlbarer, weil das Wegesystem so schlecht war, wie es überhaupt sein konnte. Deshalb sehen wir im Verlauf des achtzehnten Jahrhunderts, also in einer Zeit wachsenden Wohlstandes, in einzelnen Teilen des Landes, an der Mosel und Untersauer die Bauern zum Austausch ihrer Ländereien schreiten, um diese soviel als möglich zusammenzulegen. Die Besitzer der alten Vogteien besassen überall genügend Land, um ein recht erträglicher Leben führen zu können, wenn sie nicht durch alle möglichen Lasten und Abgaben, man möchte sagen, systematisch erdrückt worden wären, damit Adel und Klerus ungehindert ihre frühere Steuerfreiheit beibehalten könnten.Die Freilassung der Leibeigenen


 Die Bauern, namentlich die leibeigenen, wurden von allen Seiten her bedrängt und herangezogen: Der Herr und die Gemeinde, der Staat und die Kirche arbeiteten ganz gewissenhaft, Hand in Hand, an ihrem Ruin und, wenn vielleicht einer dieser Faktoren ein wenig seine Forderungen milderte, so konnte man sicher sein, dass ein anderer desto mehr forderte. Dem Herrn schuldete der Bauer das Einlager, den Vorschnitt und die Vormaht in den freien Achten und Brühlen, den Grundzins, den Zehnten, die einzelnen Zinsen und Renten, die Frohndienste, den Abkauf, das Sterbfallrecht, bestimmte Gebühren bei dem Verkauf oder der Verpfändung seiner Ländereien, die Pflicht des Bannofens, der Bannmühle, des Bannkelters, den Bannwein, die Heeresfolge und Bewachung der Burg; der Gemeinde Frohnden und in Zeiten finanzieller Bedürfnisse Gemeindeauflagen; dem Staat Frohnden, Kriegsdienst und Steuern, der Kirche die Stellung und den teilweisen Unterhalt der Kirche, des Kirchhofes, des Gebeinhauses und den Zehnten. Dagegen hat der Bauer, abgesehen von dem Reinertag seiner Ländereien und auch seines Handwerks, der ihm gehört, Recht auf die Gemeindegüter: Wald, Wiesen, Weide und Felder. Die Gesamtheit der Rechte, die dem Mitglied der Gemeinde zustehen, nennt man Einsrecht oder Einigsrecht und dementsprechend denjenigen, der an diesen Teil hat, Einsmann oder Einigsmann.

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