Der Gemeindewald

Veröffentlicht in Kulturgeschichte

Endlich hatte jede Gemeinde auch eine mehr oder minder grosse Menge von Gemeindeländereien, die den Einsmännern zur Benutzung freistanden oder periodisch verteilt wurden. Doch wo, wie in den Ardennen, grosse Strecken Landes als Rottland galten, weil es einerseits an dem nötigen Dünger fehlte, sie wie das gewöhnliche Ackerland zu regelmässigem Anbau alle drei Jahre zu düngen, und sie anderseits oft weit vom Dorfe entfernt waren, hatte jeder Einsmann das Recht, sich aus diesem Gemeindeland ein Stück abzuzeichnen, zu pflügen und zu bestellen, ohne dass einer seiner Nachbaren ihn daran hindern durfte. Im Gutlande dagegen verfuhr man anders. Von Zeit zu Zeit wurden die Gemeindegüter zu gleichen Teilen unter alle Einsmänner verloost. Dieses gab indessen nicht selten Anlass zu Klagen und zwar, wie einige Dokumente hervorheben, von Seiten jener, die die ihnen zugefallenen Loose nicht genügend mit Düngen und Pflügen besorgten und dann sich beklagten, sie hätten schlechteres Land als ihre Nachbaren erhalten. Deshalb kam man zuletzt an manchen Orten zu dem Entschluss, mit Erlaubnis der Regierung diese Gemeindeländereien wenigstens zum Teil an die Einsmänner zu verloosen oder öffentlich zu versteigern. Von beidem gibt uns die Geschichte von Berburg ein lehrreiches Beispiel.


Am 29. Juli 1771 beschliessen der Zentner und die Einwohner des Dorfes, wegen der vielen Schwierigkeiten, welche die Teilung der Gemeindeländereien immer mit sich bringe, "dass hinfüro keine austheilung mehr vorgenommen werden soll als auf eine ziel von 39 nacheinander volgende jahren, und zwaren der gestalten, damit einjedweder der an seinem antheil gethaner besserung versicherter sein möge, also solle dan diese theilung loosenweis geschehen, und ein jeder soll sich bei seiner ihm zuerfallenen loos befriedigen, ohne sich desfals opponiren zu können noch zu wollen, und nach verstrichenen diesen 39 jahren soll wiederumb eine neue austheilung ihres gemeinen Lands unter ihnen gemeineren gemacht werden, ohne dass ein noch anderer wegen dungrecht oder sonsten zu prätendiren, und soll die würcklich beschehene austheilung in kräften verbleiben." Die nächste Verlosung hätte demnach im Jahre 1810 geschehen müssen. In Wirklichkeit beschlossen die Einwohner schon am 31. Oktober 1776, die gemeinen Ländereien auf immer unter sich in gleiche Teile zu verteilen, aber mit dem Zusatze, dass keiner das Recht haben solle, seinen Anteil zu verkaufen oder sonstwie zu veräusseren, wenn er nicht nachweise, dass er andere Güter in genügendem Wert besitze, um immer seinen Anteil an den Gemeindeschulden abtragen zu können.


Erwerbung des Einsrechtes. Das Einsrecht war an den Besitz der Vogteien gebunden, so dass demgemäss derjenige, der in irgend einer Vogtei die Meisterschaft besass, auch "ipso facto" das Einsrecht besitzen sollte, ich sage "sollte", denn tatsächlich war das doch nicht immer der Fall, wie uns ein Reglement der Gemeinde Berdorf vom 17. Februar 1755 lehrt, das auch für Birkel u. Hungershof Geltung hatte. Dieses Reglement schrieb vor, dass der Fremde, der in einem Hause die Meisterschaft antritt, für die gemeinen Rechte vier Taler zu 35 Stüber (c. 11.80 Franken) bezahlen muss, der einheimische, der in ein anderes Haus als sein Heimatshaus einverheiratet wird, zwei Taler, wogegen der Sohn, der in die Vogtei seiner Eltern einverheiratet wird, nichts bezahlt; von Fremden, die sich etwa im Dorf angebaut haben und für ihr Haus das Einsrecht erwerben wollten, geht nicht die Rede. Diese werden dagegen ganz ausdrücklich in zwei Erklärungen der Zentner und der Gemeinden von Dalheim, Herrschaft Roussv, und von Welfringen ins Auge gefasst, Beweis, dass man hier nicht wie anderwärts systematisch die Ausschliessung der Fremden beabsichtigte. Die von Welfringen erklären am 4. Dezember 1769, dass jeder, der sich bei ihnen niederlassen und das Einsrecht erwerben wollte, je 67 und 12 französische Livres (c. 78 Franken) bezahlen musste; die von Dalheim, bei Gelegenheit eines Prozesses gegen Mathias Entringer wegen der Einsgerechtigkeit, erklären am 15. Januar 1773, dass dieses Recht den Häusern anklebt und dass der Eigentümer eines jeden neu erbauten Hauses der Gemeinde für das Einsrecht sechs neue Taler oder 36 Livres zahlen muss und dass dieses Recht ihnen durch die Intendanz von Metz bestätigt worden ist in der Zeit, als sie noch zu Frankreich gehörten.


Von besonderem Interesse ist ein Reglement, das in der Gemeinde Bech am 28. Oktober 1746 beschlossen wurde: künftig solle jeder, der das Einsrecht erwerben wolle, schuldig sein, aus seinem Geburtsort gebührendes Zeugnis über guten Leumund und gutes Betragen vorzulegen und zu beweisen, dass er im Bann und Bezirk Bech genügend Güter besitze, um, falls die Reihe an ihn kommen sollte, Zentner zu werden, sowohl die königlichen als auch die gemeinen Schatzungen zu erheben und zu besorgen; er muss Bürgschaft für die eventuelle Ablieferung der Schatzungen stellen, mit all den anderen Einsleuten den gemeinen Last und Nutzen tragen und endlich der Gemeinde als Erkenntnis acht Taler zahlen.Da allen Einigsleuten dieselben Rechte an Wald, Wiese, Weide und Gemeindeland zustanden, war es ganz natürlich, dass sie sich diese Rechte nicht leicht durch Aufnahme neuer Einsleute wollten schmälern lassen. Freilich lag diese Gefahr bis zum Ende des XVII. Jahrhunderts kaum vor, denn infolge der fast ununterbrochen währenden Kriege, der verheerenden Krankheiten und der so häufig auftretenden Teuerungen und Hungersnöte nahm die Bevölkerung nicht nur im Allgemeinen nur sehr wenig zu, sondern stellen- und zeitweise nahm sie sogar derart ab, dass manche, oft zahlreiche Vogteien ganz eingingen und die dazu gehörenden Güter an die noch bestehenden Vogteien übergingen. Anders wurde es seit dem Beginn der österreichischen Herrschaft. Von 1715 bis zum Ausbruch der französischen Revolutionskriege blieb unser Land von jedem grösseren Kriege verschont, die ansteckenden Krankheiten traten nicht mehr so häufig und so verheerend auf und in Zeiten der Teuerung oder Hungersnot sorgten die Regierung und die Provinzialstände in ausgiebigem Masse für Linderung der Not. Die Bevölkerung wuchs daher rasch; bald gab es überall sogenannte Anwohner oder Beiwohner, die die Einsleute bei sich oder auf ihrem Grund und Boden aufnahmen und denen auch wohl die Gemeinden selbst das Recht zur häuslichen Niederlassung übertrugen, denen sie aber fast regelmässig das Einsrecht vorenthielten.


So erlauben am 30. April 1752 die gemeinen Einwohner von Altzingen dem Nikolaus Garsch, sich ein Haus zu bauen "auf eine gemeine platz in gemeltem dorf an die hirtenhäuser, welche vor zeiten verbauwet gewesen und Luxenhaus genent worden, ohne weiteres zu verbauwen als die alte platz ausweiset, welche pur und allein Merscher jurisdiction ist," nach dem Garsch die herrschaftliche Erlaubnis erhalten haben wird. "Jedoch solle er Garsch kein Gemeinsman sein weder einige gemeine Nutzbarkeit haben, prätendieren noch geniessen können, es seie dann, dass er sich mit der „gemeinde accordiere und einstelle“, und fals er, seine Erben oder Nachkommen über kurz oder lang die gemeine nutzbarkeiten (sich) zuschreiben und sich zueignen wolten, sollen sie dieses zulas verstossen sein und der gemeinde freistehen, den „bauw abreissen zu thun." Für diese Erlaubnis muss Garsch der Gemeinde 30 Taler zahlen, dem Herrn von Mersch den zehnten Pfennig, also drei Taler und eine jährliche Rente von einem Kapaunen entrichten, endlich jedes Jahr am Allerseelentag eine Messe für die Abgestorbenen des Ortes lesen lassen. Aus der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts haben wir, namentlich aus den Gegenden um Echternach und Vianden, mehrere Akten, die uns die Umstände kennen lehren, unter denen Fremde bei den Einwohnern der verschiedenen Orte Aufnahme finden. Meistens geschieht es in der Form einer Verpfändung, indem der Hausbesitzer einen Teil seines Hau­ses, gewöhnlich das Backhaus, (daher der Familiename Backes, Bäkes) einem Fremden für eine gewisse Summe verpfändet, d. h. ihm den Genuss davon bis zur Rückzahlung des geliehenen Kapitals überlässt. So verpfändet am 25. Januar 1755 Chriss Peter von Schankweiler dem Diederich Schmid von daselbst zur Wohnung, für acht Taler 42 Stüber, sein Backhaus mit dem Recht, die Getreideernte in seine Scheune und das ausgedroschene Korn in einen Raum über dem Backofen zu legen, sowie sein Vieh in den hinter diesem gelegenen Stall zu stellen. Der Schuldner behält sich das Recht vor, sein Brot in dem genannten Backofen zu backen. Von dem Kapital sollen übrigens jedes Jahr zwölf Stüber abgehen. Berechnen wir die Zinsen der geliehenen Summe nach dem damals fast allgemein gebrauchten Zinsfusse von 6,25, so beträgt der jährliche Mietzins 18 einhalb Stüber, für den Monat etwas mehr als anderthalb Stüber oder ungefähr 13 Centimes.


Reiche Leute waren es nicht, die so ihre Wohnung als Pfand für das von ihnen vorgestreckte Geld nahmen, ebensowenig wie die Wohnungen grossartig sein konnten. Es werden eben nur nachgeborene Söhne von Bauern gewesen sein, die sich mit dem Gelde, das ihnen aus dem Elternhaus als Mitgift und Abstand bezahlt worden war oder das sie als Knecht vor ihrer Verheiratung gespart hatten, in der angegebenen Weise eine Wohnung verschafften, einige Stücke Land kauften und dann über kurz oder lang in die Zahl der Einigsleute aufgenommen werden wollten. Sie wendeten sich dann gewöhnlich an die Gemeinde mit der Forderung, dass ihnen gegen angemessene Entschädigung ein Stück Gemeindeland zum Bau eines eigenen Hauses überlassen und ihnen zugleich das Einsrecht gestattet würde. Sie stiessen dabei fast immer auf Schwierigkeiten; bald wollte die Gemeinde eben jenes Stück nicht hergeben, welches begehrt wurde, bald wollte sie ein solches anweisen, welches dem Fragenden nicht passte, gewöhnlich eines in der Nähe der Hirten- oder gar der Abdeckerhäuser, und beide standen beim Volke in üblem Ruf Jede Weigerung von Seiten der Gemeinde gab Anlass zu einem Prozess, und vor einem solchen scheuten die Gemeinden nie zurück, wenn sie auch schon ohne dies bis über die Ohren in Schulden staken; zuletzt mussten die Gemeinden trotz allem nachgeben, sich auf irgend eine Weise mit dem bisherigen Beiwohner verständigen und ihm das Einsrecht überlassen, und das um so mehr als die Regierung, schon allein zu Steuerzwecken, darauf hielt, dass die Zahl der ständigen Haushaltungen und Steuerzahler ständig zunehme.


Die Prozesse wegen der durch die Gemeinden verweigerten Einsrechte wurden zuletzt so zahlreich, dass die Regierung sich gezwungen sah, einzuschreiten. Am 29. Februar 1772 erlaubte zuerst die Regierung den Gemeinden, den Fremden und Einheimischen, die sich auf deren Gebiet häuslich niederlassen wollten, ein Stück Gemeindeland von zehn grossen Ruten zu 24 Fuss abzutreten und die darauf bezüglichen Beschlüsse innerhalb acht Tagen dem Generalprokurator einzusenden, der sie entweder bestätigen oder verwerfen und in besonderen Fällen sich an die Zentralregierung wenden wird. Weil aber die Gemeinden unter nichtigen Vorwänden häufig die Abtretung und die Niederlassung verweigern, so verfügt die Zentralregierung am 21. August 1773, dass die Gemeinden gezwungen werden können, dass aber die neuen Beiwohner ihr Haus innerhalb eines Jahres fertig stellen müssen.Gegen den klaren Wortlaut der Ordonnanz war nicht leicht aufzukommen; unsere Bauern fanden trotzdem Mittel genug, um sich an derselben vorbeizudrücken, wie denn von jeher alle Gesetze und Reglemente von ihnen erst dann befolgt wurden und werden, wenn sie unmöglich anders tun können. Als die Regierung den Bauern verbot, ohne ihre vorherige Erlaubnis Prozesse zu führen oder Anleihen aufzunehmen, wurden die ersteren geführt, die zweiten aufgenommen von einem oder von wenigen der Gemeinde, zu deren Schadloshaltung alle übrigen sich verpflichteten. So gab es auch bald ein Mittel, die Einsgerechtigkeit zu verweigern, wenigstens die Gewährung derselben in erheblicher Weise zu beschränken, indem den Einsleuten vorgeschrieben wurde, keine Beiwohner in ihre Häuser aufzunehmen, weil es ja grade diese waren, die nachher das Einsrecht nachsuchten.


Sehr interessant sind in dieser Hinsicht drei Beschlüsse der Gemeinden Holztum, Herborn und Fingig aus den Jahren 1779 resp. 1781 und 1782. Die Gemeinde Holztum erklärt am 29. Dezember 1779, "wie dass sich verschiedene von ihnen unterstanden, beiwohnere von anderen örteren hero zu sich in ihro behausungen u. backhäuser aufzunehmen, so der gemeinde höchstens zunachtheilig und den geringsten vortheil nicht davon gehabt noch haben können; womit aber gesagte ihre gemeinde in etwas schadlos gehalten sein mögte, als hätten sich in expresslich zusammenberufener versammlung über ein solches berathschlagt und nach ordentlich eingenommenen stimmen all eines sins und meinung, dass hinfüro ein jeder gemeinesman von ihnen, so willens ein oder anderen beiwohneren zu sich ins haus oder in sein backhaus auf- und anzunehmen, ehe und bevorn solche annehmung geschehen kan, der gemeinde voraus bezahlen soll zwanzig reisdaler species; solte aber sach sein, dass einem oder anderen beiwohneren sein pfandschilling wiederlegt werden solte, als solte der gemeinder, bei welchem er wohnhaft wäre, nicht mehr berechtigt sein einen anderen aufzunehmen." In ähnlicher Weise suchen am 8. Februar 1781 die Gemeiner von Herborn, die Aufnahme von Fremden unmöglich zu machen oder wenigstens zu erschweren, "damit nicht der höchste ruin ihnen dadurch zuwachsen könte", und am 16. Mai 1782 die von Fingig, "damit ihr dort nicht mit fremden und sozusagen unbekanten wie jetzt ist überlaufet und verdorben werde." Nach der allgemeinen Ansicht der alten Einigsmänner ist demnach die Einsgerechtigkeit etwas, was nur ihnen zusteht. Sie verstehen einfach nicht, wie jemand sich unterstehen, d. h. so unverschämt sein kann, Fremde als An- oder Beiwohner bei sich aufzunehmen, die dann später das Einsrecht beanspruchen könnten.

 

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