Das Bauernleben
Im Verlauf des siebzehnten Jahrhunderts kostete, nach den von E. Fischer veröffentlichten historischen Notizen über den Zustand der Landwirtschaft im Grossherzogtum Luxemburg (deutsche Cbersetzung von J.-P. Kirsch, S. 106-110), der Roggen in dem wohlfeilsten Jahre, 1604 bis 1606, 2,90 Franken das Hektoliter, der Weizen in denselben Jahren 4,55 Franken das Hektoliter, wobei natürlich nicht ausser Acht zu lassen ist, dass der Kaufwert des Geldes mindestens sechs mal höher als in unsrer Zeit war, wohlverstanden vor dem Kriege, dass das Hektoliter demnach nach dem angegebenen Kaufwerte 17,40 resp. 27,30 Franken kostete; der höchste Preis für den Roggen war der des Jahres 1636: 20,20 Franken das Hektoliter, oder nach dem angeführten Kaufwert des Geldes 121,20 Franken, der Preis des Weizens ist für das Jahr 1636 nicht angegeben; nach Kalbersch (II 15) hätte in demselben Jahre der Weizen 49, der Roggen 42 Stüber den Sester gegolten, oder c. 4,02 resp. 3,45 Franken den Sester, 20,10 resp. 17,25 Franken das Hektoliter, nach heutigem Gelde demnach das Sechsfache.
Und doch bleiben diese Zahlen, die offiziellen Aktenstücken entlehnt sind, hinter der Wirklichkeit zurück; es lehren uns nämlich andere Quellen, die nicht offiziell und eben deshalb glaubwürdiger sind, dass im Jahre 1626 (für welches Fischer das Hektoliter Roggen auf 15,25, das Hektoliter Weizen auf 16,80 Franken berechnet), das Nialter oder ungefähr Doppelhektoliter fünfzig Gulden (c. 41 Franken) kostete, zu Clerf 19 Taler 5 Stüber (c. 47,15 Franken), zu Erpeldingen bei Ettelbrück 24 Taler (c. 59 Franken), zum jetzigen Kaufwert des Geldes kostet demnach das Malter Roggen c. 246 Franken, resp. 282,90 und sogar 354. Welches Elend bei solchen Preisen herrschen musste, liegt auf der Hand. Und dabei litt damals unser Land noch nicht unter den Greueln des dreissigjährigen Krieges, der für unsere Gegenden erst zehn Jahre später im Jahre 1636 begann.
Wenn daher das Volk, als die wirkliche Hungersnot begann, noch so glücklich war, etwas Getreide, einerlei welcher Art, zu besitzen, so gebrauchte es alle möglichen Streckungsmittel, um bis zum Ende des Elends sein Leben zu fristen: Stroh, gemahlene Baumrinden und Eicheln, selbst Asche; das so hergestellte sogenannte Brot mochte dasselbe Aussehen und denselben Nährwert besitzen, wie jenes, das die Konsumenten des luxemburger Landes im Jahre 1917 verzehren mussten, während die Produzenten gutes Brot in Hülle u. Fülle hatten u. ungezählte Quantitäten des besten Weizens ihren Säuen vorwarfen. Daneben griff man zu Suppen, Brei und Mus von Gras und allen möglichen Kräutern, grub allenthalben alle knollenartigen Gewächse aus, ass von Fleisch was nur irgendwie diesem ähnelte, von allen vierfüssigen und kriechenden Tieren, deren man nur habhaft werden konnte. Man verschmähte so wenig das Fleisch von verendeten Tieren wie das Menschenfleisch: es wurden häufig die Körper der Hingerichteten vom Galgen oder vom Rade gestohlen, selbst schon begrabene Leichname wieder ausgegraben; Väter und Mütter töteten und assen die eigenen Kinder, die Kinder die Eltern oder andere nahe Verwandte. Manche von denen, die an diesen ekelhaften Mahlzeiten Teil genommen hatten, verfielen aus Entsetzen über das, wozu die Not sie gezwungen hatte, in Wahnsinn, die anderen vielfach in die schwersten Krankheiten. Die Leute mussten daher, wenn eine ansteckende Krankheit gleichzeitig mit der Hungersnot oder bald nachher ausbrach, zu Tausenden und Tausenden fallen wie die welken Blätter im Herbste.
Neben dem Ackerbau und der Viehzucht besass indessen der Bauer noch den Gartenbau, die Obstbäume, die Bienenzucht und die Fischerei, besonders in den Fischweihern, durch welche die tägliche Kost viel an Abwechslung gewann. Es gab kein Bauernhaus, das nicht auch seinen Garten in unmittelbarer Nähe besessen hatte; vermögendere Bauern besassen nicht selten mehrere Gartenparzellen. Die Kenntnis der meisten Gemüsearten, von denen viele ursprünglich wild gewesen und erst allmählich veredelt worden waren, verdankt der Bauer in erster Linie den klösterlichen Niederlassungen, namentlich der Benediktiner, die nur selten Fleisch geniessen durften und daher auf das Gemüse mehr noch als andere angewiesen waren, aber auch den Verordnungen Kaiser Karls des Grossen, der für die Gärten seiner zahllosen Besitzungen die genauesten Vorschriften über die Gemüsegärten und Medizinalpflanzen erlassen hatte, die auf jeder gezogen werden sollten.