Arno´s Kindheit
Meine Kindheitserinnerungen aus den Jahren 1948-1965
in Hautbellain Luxembourg
Vorwort
Als dieser Beitrag entstand war ich in der dritten Lebenshälfte und habe oft einen Rückblick auf mein Leben gemacht. Nach dem ich mich mit der Ahnenforschung befasst hatte und einen Stammbaum meiner Familie hergestellt hatte, welcher ich in einer Chronik meiner Familie nahe bringen wollte, beschloss ich die Erinnerungen meiner Kindheit und Jugend zu Papier zu bringen.
Dies vollzog sich innerhalb einer Spanne von 2 Jahren. Ich konnte nur schreiben, wenn ich spürte wie die Erinnerung in mir lebendig wurde. Viele ähnliche Begebenheiten erleben die meisten Kinder und ihre Nachkommen kennen sie meist nicht. Wenn ich in meiner Ahnenforschung alte Papier oder Briefe meiner Vorfahren in der Hand hielt, war ich fasziniert von dem was dort geschrieben stand. Ihr Leben wurde für mich sichtbar. Leider habe ich sehr wenig Persönliches von ihnen erfahren. In den Notar- Urkunden waren ja nur Fakten vermerkt. Was mein Großvater oder Urgroßvater empfand, wenn er etwas für ihn wichtiges erlebte, konnte ich nicht in diesen Schriftstücken finden. Oder wie sie in den vergangenen Jahrhunderten ihr Leben gelebt haben.
Ich möchte meinen Enkeln und Urenkeln und allen die daran interessiert sind, ein wenig erzählen wie ich mein Leben in den Fünfzigern und Sechzigern Jahren des zwanzigsten Jahrhundert als Kind in einem kleinen Dorf, droben im luxemburgischen Ösling gelebt habe. Ich hatte eine glückliche Kindheit und ein gutes Leben. Heute, wo ich auf die siebzig zu gehe, schaue ich auf eine fast Fünfzig Jahre glückliche Ehe mit Gertrud, auf unsern 3 Töchtern mit Ihren Ehemännern und 7 Enkelkindern zurück. Ihnen allen, meinen Eltern, Geschwistern und Gott möchte ich für diese Zeit danken mit dem Psalm 128
Wohl dem Mann, der den Herrn fürchtet und ehrt und der auf seinen Wegen geht!
Was deine Hände erwarben, kannst du genießen; wohl dir, es wird dir gut ergehn.
Wie ein fruchtbarer Weinstock ist deine Frau drinnen in deinem Haus. Wie junge Ölbäume sind deine Kinder rings um deinen Tisch.
So wird der Mann gesegnet, der den Herrn fürchtet und ehrt.
Es segne dich der Herr vom Zion her. Du sollst dein Leben lang das Glück Jerusalems schauen
und die Kinder deiner Kinder sehen. Frieden über Israel!
Im Winter 2015 begann ich diese Erlebnisse auf zu schreiben.
Das erste, woran ich mich erinnern kann, war der Sommer oder Herbst 1948. Damals bauten meine Eltern den Teil des Hauses links vom großen Haus in einen Stall um.
Ich erinnere mich, dass ein Lastauto vor unserm Haus stand. Davon wurden lange "Dallen" (luxemburgisch für Träger) aus Ton und Zement, verbunden mit Eisenstäben, vom Laster auf die Mauer des Hauses gelegt. Wahrscheinlich war die Mauer bis aufs untere Stockwerk abgetragen und wurde nach dem Legen der Dallen wieder aufgezogen.
Die neue Scheune
Ich erinnere mich an einen riesengroßen Raum (Scheune), wo Bretter auf dem Boden lagen. Dort hatte man eine Betonschicht auf den Boden gemacht und nur auf den dicken Brettern durfte man durch die Scheune gehen. Der Beton war noch nicht trocken. Ich weiß, dass es Schimpfe gab, aber ich erinnere mich auch, dass mein Bruder Josy noch laufen konnte und wir uns gegenseitig anstießen, vielleicht auch mal auf den Beton fielen. Dies muss ungefähr 1950 gewesen sein.
In diesem Jahr gab es eine Mäuseplage und meine Eltern erzählten mir, dass man im Feld sah, wie die Halme nur so verschwanden, also von den Mäusen abgefressen wurden.
In diesem Jahr gab es nur eine sehr kleine Ernte und unsere große Scheune blieb mehr als halb leer.
Ich erinnere mich auch daran, dass wir im Pesch, einer Obstwiese hinter dem Haus, Getreideschober hatten. Dort wurden die Garben aufeinander im Kreis aufgestapelt bis auf einer Höhe von 4-5 Metern und dann spitz aufgefüllt, wie Kegel. Wahrscheinlich war dies das Jahr vor dem Scheunenbau, und wir hatten wohl eine so gute Ernte, dass mein Vater beschloss eine große Scheune zu bauen.
Ich kann mich auch noch so wage daran erinnern, dass es einen Raum gab, in den man durch die alte Backes (ehemalige Backstube) hinter dem Haus links hineinkam. Dieser Raum gehörte zu dem alten Haus, welches dann 1948-1949 in einen Stall mit einer Scheune darüber umgebaut wurde. Dort stand eine Mühle und es führte eine Tür in den Keller, was für mich sehr geheimnisvoll war. Das wurde danach der Runkelrübenkeller, welcher später von außen zugängig war.
Mein Bruder Josy.
Ich hatte einen Bruder, Josy wurde geboren am 14. Juli 1943 und ist gestorben 03. August 1953.
Viel kann ich mich nicht an ihn erinnern, nur dass er dauernd auf dem Dreirad saß. Er konnte ab seinem fünften oder sechsten Lebensjahr nicht mehr gehen, es gab ein Problem mit einem Hüftgelenk. Mir wurde gesagt, dass das „Pännchen“ nicht in Ordnung sei. Er erkrankte dann mit 8 Jahren an einer Lungen- und Rippenfellentzündung, an der er starb. Ich erinnere mich, wie er bei uns im Hause aufgebahrt war, sonst aber an nichts mehr.
Ich war damals 4 Jahre alt und meine Eltern sagten mir später, ich wäre auch beim Begräbnis ziemlich ungezogen gewesen. Das war kein Wunder, da sich die Aufmerksamkeit meiner Eltern während der Krankheit auf Josy wandte und ich ein emotionales Defizit erlebte.
Dies Defizit machte mir sehr lange zu schaffen. Der Mangel an Zuwendung, Lob und Zärtlichkeit begleitet mich teilweise noch heute (mit 66). Ich möchte jedoch betonen, dass ich meinen Eltern dies längst von ganzen Herzen verziehen habe.
Maul und Klauenseuche
Wann diese genau aufgetreten ist, weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich war es zwischen 1952 und 1954.
Ich erinnere mich, dass die Schule geschlossen war und dass alle Bauern, die Kühe mit der Seuche im Stall hatten, unter Quarantäne standen, d.h. sie durften nicht aus dem Haus. Mein Vater fabrizierte einen Holzzaun mit Drahtgeflecht vor dem Haus. Dort brachte er einen Briefkasten aus Holz an. Man schrieb auf einen Zettel auf, was man vom Dorfgeschäft brauchte, und legte ihn in den Briefkasten. Dort wurde er von jemandem, der die Seuche nicht im Stall hatte, abgeholt, die Besorgungen wurden gemacht und beim Briefkasten hinterlegt. So geschah es auch mit der Post. Sicher waren dies die ersten Briefkästen in unserm Dorf. Nach der Seuche gab es dann lange keinen Briefkasten mehr.
Ich weiß wohl, dass meine Schwester Maria heimlich zu Backes Josette ging zum spielen. Backes hatten auch die Seuche auf ihrem Hof.
Meine Eltern plagten sich mit den Kühen. Diese Seuche befiel die Klauen, das Maul aber auch den Euter. Viele Kühe verloren eine oder zwei Zitzen. Wir hatten in dieser Zeit acht bis zwölf Kühe.
Später gab es dann auch die Tuberkulose im Stall. Ich erinnere mich nur daran, dass mein Vater klagte, dass wiederum Tiere verkauft werden mussten -und sicher gab es nicht viel Geld dafür.
Die Bruxellose, Bang genannt, kam dann als nächste Seuche. Das ging in unserm Hof bis um 1963. Als wir nach den jährlichen Blutproben wiederum Bescheid bekamen, wie es mit unsern Tieren stand, warf mein Vater den Bescheid der Behörde auf den Boden und stöhnte: „Dreck, wieder zwei Kühe befallen.“ Diese mussten abgeschafft werden und man bekam nur den Wert vom Fleisch, was oft nicht viel war, da die Milchkühe nicht gemästet wurden. Später erhielt man 3500 Fr (85 €) Prämie dazu.
Mitten in dieser schlimmen Zeit, im Jahr 1962, starb mein Vater.
Unser letzter Tierbefall, es war eine Färse, war um 1963. Der Tierarzt sagte zu meiner Mutter, er würde sich dafür einsetzen, dass wir einen guten Preis erhielten und so war es auch. Anschließend säuberten und desinfizierten wir den Stall, in dem das Tier gestanden hatte. Danach gab es keinen Befall mehr in unserm Betrieb.
Die Schule im Dorf
An meinen ersten Schultag kann ich mich kaum erinnern. Nur dass alles für mich neu war und dass es einen dicken Ofen in der Schule gab.
Bald ging es in die neue Schule, welche oberhalb der Kirche gebaut wurde. In der Schule wurde der Boden mit kleinen mosaikartigen tonfarbigen Plättchen belegt. Es waren 2 x 2 cm große Fliesen welche auf Folie geklebt waren. Da viele Reste herumlagen, nahmen die Kinder diese mit nach Hause zum Spielen.
Ein oder zwei Jahre später wurde der Hof vor der Schule befestigt. Es wurde, wie man bei uns sagt, „Gestecks“ gemacht, d.h. es wurden flache Schiefersteine aufgerichtet und aneinander gereiht in Höhe von circa 20 cm. Es machte uns Jungs Spaß, in den Pausen dabei zu helfen. Jeder hatte inzwischen einen Hammer, mit dem wir die aufgestellten aber zu hohen Steine abschlugen. Es gab dabei auch viele Blessuren, das war aber nicht schlimm.
Nun erinnere ich mich: Als als ich im zweiten Schuljahr war, war unser Lehrer, Herr Lucien Wagner, lange krank. Wir erhielten Ersatzlehrer. An einen kann ich mich gut erinnern. Er hieß Schleich. Und wir Kinder machten mit ihm, was wir wollten. Ich war gut im Zählen und im Rechnen und wir bekamen, wenn wir gute Aufgaben hatten, eine „Bonne Note“ (zu Deutsch: Gute Note), das war kleines Stück Papier, 15 X 50 mm, auf dem „Bonne Note“ stand. Bei zehn gab es dann ein Bildchen.
In der zweiten Klasse beim Lehrer Schleich im Rechenuntericht, (Zusammenzählen), ging ich von Hundert auf Tausend und sogar bis 1 Million. Ich bekam von ihm dauernd „Bonne Notes“ und Bildchen. Eines Tages nachdem ich wieder solche Rechenkünste absolviert hatte, sagte er mir, ich sollte zu ihm ans Pult kommen und mir so viele Bildchen nehmen, wie ich wollte - was ich dann auch tat. Ich glaube ich nahm mir 15 bis 20 Stück. Als Lehrer Wagner zurück kam wunderte er sich, dass es keine Bilder mehr gab.
Der Schulalltag begann mit der Messe in der Kirche. Jeden Morgen um halb acht (glaube ich) fing die Messe an. Nachdem wir zur ersten Kommunion gegangen waren, mussten wir dann natürlich nüchtern sein. Wir nahmen uns Butterbrote mit, die wir nach der Messe aßen. Da gab es bei mir auch Probleme. Nüchtern hieß für mich, überhaupt nichts essen von Mitternacht an. Ich weiß noch, wie ich einmal, als meine Mutter meine Brote mit Zucker bestreute (es gab ja außer Marmelade, Kochkäse und Honig nichts anderes für aus Brot), ich den Zucker ohne zu überlegen aufschleckte….Nun durfte ich nicht zur Kommunion. Die Jungs fragten mich, warum ich denn nicht zur Kommunion ging und sie hänselten mich. Also ging ich, wenn so was geschah, schnell vor der Messe noch zur Beichte. Ich war für den Pfarrer sicher der Junge, der am meisten zur Beichte ging.
Es war auch nicht alle Tage Sonntag in der Schule. Wir Jungs rauften uns sehr oft, aber es hatte keinen Sinn, dies zu Hause zu sagen. Wir hätten dann eventuell noch zusätzlich Strafe bekommen. Ich weiß noch, dass es eine Zeit gab, wo ich von den meisten gehänselt und gepiesakt wurde. Dazu war ich als Kind etwas pummelig. Ich verteidigte mich mit aller Kraft. Und so gaben die Jungs nach einigen Wochen auf und suchten ein anderes Opfer.
Einmal erlebte ich etwas Unangenehmes, das mir lange zu schaffen machte. Es war im Winter, es lag Schnee, und in der Pause hatte jemand einem Mädchen einen Schneeball ins Gesicht geworfen. Das Mädchen trug eine Brille, die von diesem Wurf runterfiel. Sie lief zum Lehrer und petzte, ich hätte ihr den Schneeball ins Gesicht geworfen. Und so erhielt ich eine Strafpredigt vor allen andern, sicher 10 Minuten lang. Ich musste mir das anhören, obwohl ich nicht der Täter war und dies auch beteuerte. Es war für mich sehr schlimm, weil es ungerecht war, und ich konnte dem Lehrer erst nach vielen Jahren, als ich zum Glauben gefunden hatte, verzeihen.
Im vierten Schuljahr kam eine neue Familie ins Dorf und die Kinder kamen zur Schule. Ich verliebte mich prompt in das Mädchen. Ihre schönen schwarzen Haare hatten es mir angetan. Dies dauerte an, bis ich ins Internat nach Farnières ging. Ich habe mich jedoch nie getraut, dem Mädchen meine heißglühende Liebe zu gestehen.
Geheimnisse
Es gab auch einen Clan in der Schulzeit. Wir waren zu viert und manchmal zu fünf und hatten einige Geheimnisse. Jeder wollte natürlich um diese Geheimnisse wissen, aber wir hielten stand. Ich weiß noch zwei davon, die ich nun offenlege:
Das erste ist das "Geheimnis des Waldes":
Wir gingen jeden freien Nachmittag, also dienstags und donnerstags in den Wald, in Dèischfenn. Dort hatten wir uns von den abgeschnittenen Spitzen der gefällten Bäume einen Hochsitz gebaut. Wir nagelten die 2 Meter langen Stangen oben auf die Äste eines dicken Baumes. Wir gingen mit Pfeil und Bogen zur Jagd. Auch wenn wir nie ein Wild erlegten, machte es uns doch Spaß auf Bäume zu zielen. Und mit einer Spitze aus einem gefeilten Nagel, den wir vorne am Pfeil befestigten, blieb der Pfeil sogar manchmal im Baum stecken.
Das zweite Geheimnis war sehr geheimnisvoll.
Es hieß: "Das Geheimnis der dritten und vierten Bank". Das haben wir nie preis gegeben. Nun verrate ich es: In der zweiten und dritten Kirchenbank, in der Messe und im Herbst und Winter beim Rosenkranz, saßen dort die zwei Mädchen die unsere heimliche Liebe waren. Nur wir vier wussten davon.
Das Häuschen
Bei mir zuhause hatten wir ein Häuschen aus Brettern gebaut. Die Bretter hatten wir uns heimlich aus dem Schuppen geholt. Wir hatten sogar eine Sitzbank, der Vordersitz eines alten Jeeps. Als Schrank diente ein ausrangierter Bienenkasten, den wir nach draußen stellten mit der offenen Tür an der Seite des Häuschens. So konnte man von innen in diesen Wandschrank greifen. Mit dem Dach war das so ein Problem. Bei gutem Wetter ging es ja. Aber wenn es regnete, lief das Wasser zwischen den flach aufgelegten Brettern durch. Eines Tages bekam jemand die Idee, Rasenstücke aus der Wiese zu graben und diese aufs Dach zu legen. Das hielt sogar beim Regen. Aber noch lange, nachdem es aufgehört hatte zu regnen, tropfte das Wasser von unserm Dachrasen in unser Häuschen. Mein Onkel Vinz aus Oudler - er war Schreiner - wollte uns bei unserm Dachproblem helfen. „Also, ihr braucht Dachpappe“, sagte er. „Auch müsst ihr zuerst dem Dach eine zweiseitige Schräge geben, damit das Wasser abläuft.“ So bettelten wir bei meinem Vater wieder um einige kostbare Bretter. Und wir zimmerten das Dach. Doch leider hat unser Häuschen, bevor es mit Dachpappe gedeckt war, den Neid der anderen Jungs erweckt. Sie kamen eines Abends in Verstärkung einiger älterer Jungen zu unserm Häuschen und rissen es nieder. Es war, glaube ich, am Ende der großen Ferien und wir haben das Haus nie mehr aufgebaut.
Jahre später, als ich 15 war, baute ich dort mit meinem Vater einen Hühnerstall. Die Fenster habe ich selbst gebaut, worauf ich damals sehr stolz war. Leider ist mein Vater ein Jahr später gestorben. Da er den Hof leitete, hatte mein Vater wenig Zeit, und es gab kaum eine Beziehung zu ihm. Meine Onkel Jean und Niklas, die auf dem Hof lebten, hatten viel mehr Zeit für mich und meine Geschwister.
An eine Sache erinnere ich mich wohl sehr gut. Mein Vater nahm mich mit auf die Schuck, wo wir einen kleinen Wald hatten. Dort sägten wir mit der Drummsäge (große Handsäge oder Baumsäge mit zwei Griffen) einige Bäume um und zerlegten sie. Ich weiß noch sehr gut, wie er glücklich lächelte, obwohl er damals schon krank war und Krebs hatte.
Moni Jean und Moni Niklas.
Die zwei Onkel ( luxemburgisch: Monni) erzählten mir oft Geschichten, besonders Jean war der reinste Märchenerzähler. Wenn wir mit ihm auf dem Leiterwagen, von unsern zwei Schimmeln gezogen, ins Feld fuhren, erzählte er uns, dass er Jirend, Jouer und Greinmaus begegnet sei. Diese hatten Rucksäcke auf dem Rücken und kamen von Zeit zu Zeit in unsere Gegend. Oder den Besenmechel, der fertigte Besen an. Dann gab es auch den Riesen Goliath. Der war zu sehen, weil er mit dem Kopf aus dem Wald ragte. Und Jean zeigte dahin: „Dahinten, siehst du ihn nicht…!“
Beim Schlafengehen erzählte er mir Gruselgeschichten, ich weiß nicht, wo er sie herhatte. Wenn er das Licht dann ausmachte, zog ich schnell die Decke über den Kopf und betete voller Angst aber inbrünstig das Gebet:
"14 Englein mit mir gehen, zwei zu meinem Kopfe, zwei zu meinen Füßen, zwei zu meiner rechten Seite, zwei zu meiner linken Seite, zwei die mich decken, zwei die mich wecken, zwei die mich führen zum himmlischen Paradiese. Amen. Und ich fügte noch vier hinzu: zwei oben und zwei unten.
So war ich beruhigt und konnte gut schlafen. Ich glaube, dieses Gottvertrauen hat mich bis heute nicht verlassen.
Monni Jean erzählte aber auch viel vom Krieg. Er war damals, als der Krieg ausbrach, schon über 40 und als Luxemburger wurden nur die jungen Männer zwangseingezogen.
Als es dann 1944 zur Rundstedt-Offensive kam, hatten die beiden Onkel jedoch Angst, dass sie von den Nazis eingezogen werden könnten. So machten sie sich eines morgens, beladen mit einem Brot und einem Stück Schinken, zu Fuß auf den Weg. Es ging durch Belgien, Richtung Namur bis nach Frankreich. Niklas blieb in Hirson (Frankreich) bei einem Bauer, bis der Krieg zu Ende war. Jean war mal hier und mal da. Er erzählte, wie er bei seiner Flucht durch Marienbourg (Belgien) kam und beschrieb es als ein wunderschönes Städtchen. Als er auf dem Weg zurück durch Marienbourg kam, lag die Stadt in Schutt und Asche.
Monni Jean war auch der Mann, der sich um die Pferde kümmerte. Als der Traktor die Pferde ersetzte, übernahm Niklas das Fuhrwerk. Er war der geborene Techniker. Schade, dass er nicht studieren konnte, er wäre ein guter Ingenieur geworden. Er interessierte sich bis ins hohe Alter für Politik und Wissenschaft und er saß oft den ganzen Tag im Sessel und las in der dicken Jahrhundert-Chronik.
Schnee
Als ich heute Morgen (12. Januar 2013) durch den verschneiten Wald ging, musste ich an meine ersten Schneeerinnerungen denken. Wahrscheinlich war es im ersten Schuljahr 1952 oder 1953, als wir mit der Schule, natürlich alle Klassen, nach Leiterfuhr nahe unserm Dorf zu einer Hangwiese gingen um dort Schlitten zu fahren. Ich weiß nicht, ob ich einen Schlitten dabei hatte. Meine Schwester Maria war nicht mehr dabei. Ich empfand den Schnee als sehr hoch und es gab immer wieder Schneegestöber. Ich hatte große Mühe als kleiner Knirps, den Berg hinaufzukommen, und der Lehrer nahm mich schon mal an die Hand.
Später als ich zehn bis zwölf Jahre alt war, fuhren wir oft mit unsern Schlitten durchs Dorf. Oft fuhren wir in „Ketten“, d.h. mehrere Schlitten aneinander, die Straße runter. Dieses Kettenfahren bedeutete, dass der erste Fahrer auf seinem Bauch auf dem Schlitten lag und die Füße in die Öffnung des zweiten Schlittens steckte. Der Fahrer des zweiten Schlittens tat dem gleich. Oft saß noch ein Kind auf den Rücken der Fahrer. Auf dem letzten Schlitten saßen dann meist drei Kinder aufrecht. Bremsen gab es nicht. Wenn es zu schnell ging musste man mit dem Fuß bremsen. Die Straße wurde nie von Schnee geräumt und Autos gab es so gut wie keine, so dass wir an den freien Nachmittagen schon mal zwei bis drei Stunden Schlitten fuhren.
Übrigens gehörte das einzige motorisierte Fuhrwerk dem Briefträger, welcher mit seinem Motorrad zwischen elf und zwölf vorsichtig durchs Dorf fuhr und die Post immer im Haus abgab. Da es noch keine Reklamen gab und auch nicht viele Briefe zu befördern waren, nahm sich der Briefträger immer viel Zeit, um die neuesten Nachrichten auszutauschen. Die Tageszeitung wurde von einem Jungen mit dem Fahrrad ausgeteilt.
Es gab aber auch einen sogenannten Schlittenberg im Dorf. Die Hangwiese nahe der Kirche bei Franziska Stephany war dazu ideal. Sicher hatte die Wiese einen Hang von 30 % und wenn die Piste, die circa 100 m lang war, eingefahren war, flitzten wir sehr schnell dort hinunter. Unten war ein Stachelzaun, an dem wir den untersten Draht gehoben hatten, so dass wir, wenn wir nicht stoppen konnten, unter dem Zaun hindurch bis auf die Straße sausten.
Zoff mit einem Mädchen
In dieser Winterzeit gab es einmal eine Begebenheit, an die ich auch später noch manchmal dachte. Wie ich schon angedeutet habe, hatte ich mich mit 10-11 Jahren in ein Mädchen verliebt. Als ich nun zwei Jahre später feststellte, dass meine „Liebe“ nicht erwidert wurde, war ich beleidigt und ließ es das Mädchen spüren. Als wir Jungs eines Tages Schlitten fuhren, begegneten wir dem Mädchen und wir seiften sie ordentlich mit Schnee ein. Das Mädchen lief weinend nach Hause und ihr Vater, der als ziemlich jähzornig bekannt war, erschien um uns zu versohlen. Ich nahm meinen Schlitten und nahm Reißaus. Der Mann folgte meinen Spuren und im hörte ihn mit den andern Jungs reden. In meiner Angst lief ich zu einem Bauernhof „bei Gallé“ und versteckte mich im Runkelrübenkeller. Die Frau aus dem Haus, Justine Morn, eine Cousine meines Vaters, sah mich dort. Als ich ihr die Geschichte erzählte, sagte sie mir, ich bräuchte keine Angst zu haben, sie wäre da und es würde mir nichts geschehen. So hatte ich noch mal Glück gehabt. Ich machte die Erfahrung, dass man auf verschmähte Liebe nicht mit Vergeltung antworten sollte. Damals war ich 12 Jahre alt.
Schneesturm
Im Februar 1953 verschwand unser Dorf fast im Schnee. Ich erinnere mich, wie es schneite und an den Sturm draußen. Mein Onkel Jean war nachmittags mit dem Zug nach Clervaux gefahren und weiter zur Abtei nach Eselborn gegangen, um dort an Exerzitien teilzunehmen.
Es schneite weiter die ganze Nacht hindurch und am nächsten Tag, es war ein Sonntag, war alles zugeschneit. Wir gingen durch den hohen Schnee zur Kirche, wo um halb acht (glaube ich) die Messe gefeiert werden sollte. Doch der Pfarrer kam nicht. Anscheinend war die Straße nach Niederbesslingen total zugeweht. Jemand sagte, er würde den Pfarrer mit seinem Pferd, einem Ackergaul, holen gehen. Aber schnell sah er ein, dass auch das Pferd nicht durch den teilweise bis zwei Meter hohen Schnee durchkam. So beteten wir dann als Dorfgemeinschaft den Rosenkranz.
Tags darauf verstarb im Dorf ein älterer Mann, Herr Breuskin. Der Friedhof befand sich jedoch in Niederbesslingen. Es gab keine andere Möglichkeit dorthin zu gelangen, als den Weg freizuschaufeln. Und so versammelten sich die Männer mit ihren Schaufeln auf dem Rücken bei der Kirche in Beessleck (Oberbesslingen) und schaufelten den Weg nach Niederbesslingen (Kirchen) frei. Ich hatte das Glück, dass mein Vater mich mitnahm. So half ich mit meiner Kinderschaufel den Männern beim Schaufeln. Als der Weg frei war, gingen alle zu "Flöp-Phillip" (Café Clees) um ihr Werk zu begießen.
Ich durfte nicht mit ins Café und wurde nach Hause geschickt.
In der Schule wurde uns am Samstagnachmittag zur Zeichenstunde die Aufgabe gegeben, eine Zeichnung zu malen über das Schneeschippen. Und so zeichnete ich die Männer mit ihren Schaufeln. Und dazu malte ich ein Kind mit seiner kleinen Schaufel, natürlich war ich das.
Ein Woche später kam dann eine Riesenmaschiene ins Dorf und blies den Schnee von der Straße weg.
Vielerlei Abenteuer
Eine lustige Begebenheit gab es, als wir Jungs, wir waren ungefähr 5 oder 6, bei uns zuhause spielten, es war ein freier Nachmittag oder in den großen Ferien. Übrigens dauerten die Ferien vom 15. Juli bis zum 1. September. Als wir so zusammen waren, überlegten wir, was wir spielen sollten. Manchmal dauerte es lange, bis wir uns entschieden hatten. Diesmal spielten wir zuerst „Stoppes“ (Versteckspiel) und sperrten einen Jungen in den Runkelrübenkeller ein.
Nach einer gewissen Zeit entschieden wir uns, auf die Felder und Wälder zu gehen. Wir gingen das Dorf hinunter nach Renken, wo es früher an der Renkenbach eine Wäschestelle gegeben hatte. Dort fingen wir Salamander, die sehr schön und groß waren. Beim Spielen sahen wir plötzlich in einer Entfernung von circa 500 Metern 6 bis 8 Tiere übers Feld laufen. Zuerst dachte ich, es wären Schafe. Doch dann sah ich, dass es Wildschweine waren. Wir hatten vorher noch nie Wildschweine gesehen. Wir wussten aber durch Bilder aus der Schule, wie diese Tiere aussahen. Für uns Jungs war das etwas Außergewöhnliches und es wurde schnell Dorfgespräch. Es stellte sich dann heraus, dass es eine Treibjagd gegeben hatte.
Der arme Kerl, den wir eingesperrt hatten, wurde glücklicherweise nach einiger Zeit von meinem Onkel aus seinem unfreiwilligen Gefängnis befreit. Er hatte Pech gehabt, er hat die Wildschweine nicht gesehen.
Dort am Renkenbach gab es auch ein Wasserhäuschen. Etwas weiter westlich in der „Schuck“, waren die Quellen für unser Trinkwasser. Da das Wasserhäuschen an einem Hang stand, war es leicht das Dach zu besteigen. So kletterten wir eines Tages aufs Dach und hämmerten mit Steinen auf die Dachschiefer. Ich glaube, jemand hatte sogar einen Hammer dabei. Warum wir das taten, weiß ich nicht, aber jedenfalls kam unsere Untat dem Lehrer zu Ohren und es gab eine gewaltige Strafpredigt. Wir mussten alle einen mehrseitigen Aufsatz über unsere Tat schreiben. Wir brauchten den Schaden aber nicht zu ersetzen.
Es war 1956 oder 1957, nach der Suezkrise und dem Krieg zwischen Ägypten und Israel.
Hinter unserm Haus gab es einen Abfluss vom Stall. Dort floss die Jauche aus unserm Kuhstall in einem Rinnsal zu den Wiesen. Dieses fiel jedoch immer wieder zu, da der Jaucheabfluss nicht in eine Betonrinne gefasst war. So haben unser Nachbarjunge und ich es uns zur Aufgabe gemacht, diese Rinne offen zu halten. Mit Schaufel und Hacke mühten wir uns jeden freien Nachmittag ab und hoben den mit Jauche durchzogenen Dreck aus der Rinne. Dass wir dabei dreckig wurden, bemerkten wir nicht. Wir verstanden die Schimpfe unserer Eltern nicht, da wir ja den Suezkanal frei legten. So wurde bei uns Politik in die Tat umgesetzt.
Eine Geschichte, bei der ich noch mal Glück hatte, war diese: Mein Nachbar Roger und ich höhlten eine dicke Runkelrübe aus, wir hatten davon in unserer Kinderzeitschrift gelesen. Wir schnitten ein Gesicht hinein, setzten sogar Zähne aus Streichhölzern ein und setzten eine Kerze hinein. Obendrauf kam ein Deckel. Wenn wir diese Rübe abends bei Dunkelheit in die Hecke an der Straße setzten, leuchtete aus der Hecke ein unheimliches Gesicht. Gesagt, getan… Wir legten uns auf die Lauer, um zu sehen, wie die Vorbeigehenden auf dieses Gespenst reagieren würden. So sahen wir eines Abends ein Mädchen die Straße entlang kommen. Plötzlich stoppte sie und lief schreiend vor Furcht nach Hause. Wir haben uns ins Fäustchen gelacht.
Am andern Tag, als Roger und ich zur Schule gingen, begegneten wir der Mutter des Mädchens, das wir erschreckt hatten. Sie rief uns zu, wir sollten mal zu ihr kommen. Im Gegensatz zu mir, der ihren freundlichen Worten misstraute, ging Roger zu ihr und – ping, pang erhielt er von ihr einige gepfefferte Ohrfeigen…
Beim Spielen gab es auch schon mal richtig gefährliche Momente. So spielten der Nachbarsjunge und ich eines Tages auf unserem Dachspeicher. Der Speicher war offen zu einer Scheune und durch eine Tür konnte man über eine Leiter nach unten.
Ich war unten und wollte gerade die Leiter hinaufsteigen, der Nachbarsjunge war noch oben auf dem Speicher. Und er schmiss ein Stück Eisen, das er dort gefunden hatte, durch die Scheune zur Tür nach unten, wo ich stand. Ich sah noch gerade, wie das Eisenteil geflogen kam, auf einer Sprosse der Leiter aufschlug und mir ins Gesicht flog, direkt unter meinem rechten Auge. Gott sei Dank war das Stück Eisen zuerst auf der Sprosse gelandet, so dass der Wurf abgemildert wurde und ich nur eine mächtige Beule behielt. Der Junge flitzte wie ein Blitz nach Hause und war auch einige Tage nicht zu sehen.
Bei unserm Dorf standen einige mächtige Tannen, die wir besteigen wollten. Sie standen auf einer leichten Anhöhe und ihre Spitze war in gleicher Höhe mit dem Kirchturm. Sicher war die höchste Tanne 15 bis 20 Meter hoch. An den unteren 4 Metern gab es keine Äste. Aber ein kleiner Baum stand daneben, über den wir zu dem ersten Ast des großen Baumes rüber kletterten. Dann ging‘s weiter von Ast zu Ast bis zur Spitze. Die Äste, die ziemlich dick waren, hatten einen Abstand von circa 50 bis 60 cm bis zur nächsthöheren Astreihe. Also mussten wir uns raufziehen. Am Stamm entlang befand sich ein dicker kupferner Draht, der bis zur Spitze ging. Wahrscheinlich stammte dieser von einem Sender aus dem zweiten Weltkrieg.
Wenn ich heute daran denke, wird mir fast schwindelig, so gefährlich war unsere Kletterei. Natürlich wussten unsere Eltern nichts davon. Kinder haben bestimmt einen besonderen Schutzengel.
Eigentlich hatte ich immer Schrammen und Beulen in meiner Kindheit. Ich erinnere mich, wie ich einmal mir dem Rad bei Logen unterwegs war. Ich kam ins Schleudern und fiel unters Rad. Es war im Sommer und ich hatte kurze Hosen an. Überall sah ich Blut. Logen Anna, die mich beim Fallen gesehen hatte, kam schnell zu mir. Ich ging humpelnd mit ihr zu ihrem Haus, wo sie mich notdürftig verband. Als ich nach Haus kam, wurde ich mit Schimpfen meiner Eltern empfangen, was ich überhaupt nicht verstand! Wo lag die Schuld? Meine Mutter sagte mir immer wieder: „Was soll nur aus dir werden? Warum passt Du nicht auf? Wenn Du so weiter machst, wirst Du nicht alt! Und deine Schwester verletzt sich nie….“ Aber ich war halt nicht Maria. Nach meiner Kindheit hatte ich jedoch fast nie mehr Unfälle.
Munition als Spielzeug
In den 50er Jahren des letzen Jahrhunderts gab es bei uns noch jede Menge Waffen und Munition. Ein Junge, der im letzten Schuljahr war und dessen Onkel aus dem Krieg eine Maschinenpistole mitgebracht hatte, hatte diese gefunden. Mit seinen Freunden schoss er im Wald auf Vögel. Dies sorgte im Dorf für viel Gespräch und das Thema Munition und Waffen wurde überall diskutiert.
Eine ganze Zeit lang beschäftigten auch wir Kinder uns mit Munition. 1953 wurde in unserem Dorf die Wasserleitung gelegt. Beim Graben wurden jede Menge Patronen gefunden. Meist waren es Gewehrpatronen. Es gab sie in Kisten oder auf Bändern, (wahrscheinlich für Maschinengewehre, diese waren etwas größer).
Nun gab es hinter der Kirche die alten, nicht mehr benutzten Toiletten der alten Schule. Meist gingen wir eine halbe Stunde, bevor der Rosenkranz begann, ins Dorf, jedoch nicht zur Kirche, sondern hinter die Kirche zu den alten Toiletten. Dort versuchten die älteren Jungen, diese Patronen zur Explosion zu bringen. Sie nahmen durch biegen und klopfen die Spitze ab, ließen das Pulver auslaufen, schütteten wieder circa zwei Drittel des Pulvers hinein, drückten die Spitze in die Hülse und taten den Rest Pulver hinzu. Sie legten die Patrone unter einen Stein und zündeten das Pulver an der Patrone an. Mit einem Zischen flog die Spitze heraus. Es kam schon mal vor, dass sich die Patrone beim Entflammen des Pulvers drehte und einmal traf eine Spitze das Bein eines Jungen. Da der Druck wegen der offenen Patrone nicht mehr so stark war, blieb es bei einer kleinen Wunde. Nachdem wir einige Zeit bei den Großen zugeschaut hatten, machten wir es ihnen nach. Wir steckten die Patrone nicht mal mehr unter einen Stein, sondern traten nur mit dem Fuß darauf.
Einmal machten wir aus leeren Papiertüten ein Feuer und warfen einen ganzes Bündel Patronen hinein. Wir standen hinter der Mauer, als das Gejaule losging, und sahen, da es schon etwas dunkel war, Leuchtmunition durch die Gegend fliegen. Die Größeren sagten uns, dass es bei den Patronen im Band dazwischen Leuchtkugeln gebe.
Beim unserm Nachbarn fanden wir beim Graben Pulver in Ringen, circa 1 cm Durchmesser und 1 bis 2 mm dick. Wenn wir 10 bis 20 Stück gefunden hatten, legten wir sie auf einen Haufen und zündeten sie an. Das ergab eine fantastische Stichflamme von zwei Metern, die ungefähr 10 bis 20 Sekunden brannte. Einmal, ich glaube es war im alten Pfarrhaus, hatten wir wieder einen Patronengürtel gefunden. Wir nahmen ihn mit aufs Feld, machten dort in einer Furche ein Feuer mit Papiertüten und schmissen die Patronen hinein. Es prasselte nach allen Seiten hin, und ich erinnere mich, wie die Pferde in der benachbarten Wiese Reißaus nahmen. Ich weiß nicht, wieso unsere Eltern nicht eingeschritten sind.
Die Motorisierung
Die Motorisierung hielt Einzug in unser Dorf. Ich glaube es war 1954, als immer mehr Bauern sich einen Traktor anschafften. So war es auch bei uns. Als ich eines Tages aus der Schule kam, war unser Traktor da. Es war ein Ferguson Diesel 28 Ps. Er war von grauer Farbe und hatte eine Bedachung, Kabine genannt. Ich war so froh, dass ich dauernd diese Worte wiederholte: Ferguson Diesel, Ferguson Diesel, Ferguson Diesel…
Natürlich gab es im Dorf unter uns Kindern mächtige Diskussionen und Raufereien, welcher Traktor der Beste sei. So gab es einen Spruch über die Marke „Hanomag“: Ein bisschen Blech, ein bisschen Lack und fertig ist der Hanomag.
Ich war recht stolz auf unsern Ferguson, als dem Schmied beim Aufbau einer Lampe am hinteren Schutzblech beim Bohren mehrere Bohrer abbrachen. Er sagte zu den Leuten, die in die Schmiede kamen: „Das ist kein Blech, das ist Stahl!“
Im Sommer durfte ich dann beim Aufladen der Garben oder des Heus den Traktor von einem Haufen zum Nächsten weiter fahren. Und so las ich das Herstellungsschild, welches sich über dem Lenkrad befand, unzählige Male. Dort stand auf Französisch: „Fabriqué par la Société Standart Hotchkiss, à St. Denis, Seine pour cie Massey Ferguson France, Brevete SGDG, Made in France“. So kann ich diese Beschreibung noch heute nach fast sechzig Jahren ohne Schwierigkeiten zitieren, wenn auch vielleicht nicht richtig schreiben.
Dann kam die große Diskussion, ob man denn doch nicht ein Pferd behalten müsste, um zum Beispiel die Kartoffeln zu pflanzen und zu häufeln. Der Traktor würde doch mit seinen Reifen die Erde so fest zusammendrücken, dass die Kartoffeln nicht wachsen könnten.
So behielten wir ein Pferd für diese Arbeit, es war ein Brauner. Den ganzen Sommer hatte das Pferd außer dem zweimaligen Häufeln der Kartoffeln nichts zu tun. Es wurde dadurch immer wilder auf der Weide, verfing sich eines Tages im Stacheldraht und scheuerte sich ein Hinterbein bis zur Hälfte auf. So konnte das Pferd nur notgeschlachtet werden und wir erhielten vom Metzger nur 5000 Fr (circa 125 €), wo doch der Preis eines Pferdes bei 25 000 Fr (625 €) lag. So war dieses Kapitel abgeschlossen. Unsere Pferde bestanden nun nur noch aus den „Pferdestärken“ unseres Traktors.
Heute haben viele Kinder einen „Kettcar“ oder einen kleinen Wagen, der sich über Pedalenantrieb fortbewegt. Damals gab es auch schon solche Wagen für Kinder, aber in unserm Dorf gab es nur einen Jungen, der ein solches Spielauto besaß. Es war ein Jeep Imitation, und wir beneideten ihn heftig um sein Auto. Ich war ungefähr 10 oder 11 Jahre alt und hätte gerne auch ein Auto besessen.
Auf unserm Dachspeicher fand ich einen alten Kinderwagen. Der Untersatz bestand aus einem Metallgestell mit vier Rädern, die einen Durchmesser von circa 50 cm hatten. Darüber war eine Art Korb für das Kind befestigt. Wir entfernten den Korb und fixierten über den Rädern zwei Bretter, wo man sich drauf setzen konnte. Das Wägelchen war leicht und doch stabil. Es hatte die Maße von ungefähr 1,2 m Länge, 70 cm Breite und auch 70 cm Höhe.
Wir Kinder setzten uns zu zweit auf die Bretter und flitzten die abfallende Dorfstraße hinunter. Es gab weder Bremse noch Lenkung. Zum Bremsen nahm man die Füße zum Schleifen und lenken konnte man, indem man sich nach der gewünschten Seite hielt.
Ich erinnere mich, wie eine entfernte Cousine, sie wohnt heute in England, mich inständig bat, sie doch mitfahren zu lassen. Während der gesamten Abfahrt, die vielleicht 3 bis 5 Minuten dauerte, schrie sie vor Angst wie am Spieß und war heilfroh, als wir unten waren. So hatten wir für mehrere Wochen, sicher waren es die großen Ferien, unseren Spaß mit unserm Auto.
Alte und neue Schätze
In dieser Zeit gab es bei uns ein Gerücht, dass sich in den Gödinger Wäldern, zwischen Huldingen und Wilwerdingen eine goldene Kutsche befände. Diese sei während der Napoleonischen Kriege dort vergraben worden. Ein junger Mann aus dem Dorf, als arbeitsscheu bekannt, hatte inzwischen begonnen dort zu graben.
Wir Jungs, besonders in unserm Gruppe, diskutierten lange und ausgiebig über diese Kutsche.
Und uns kam ein Gedanke. Wir waren ja auch im Besitz einer Kutsche, die zwar nicht aus Gold, sondern nur aus Eisen war. Es wäre doch möglich, dass in zwei- bis dreihundert Jahren das Eisen auch so wertvoll werden könnte wie jetzt das Gold. So beschlossen wir, die Kutsche im Dischvenner Wald zu vergraben. Gesagt, getan. Wir hatten einen Hofhund, Jolie hieß er. Der Arme wurde für alles gebraucht, auch zum Schleppen und zum Ziehen. So befestigten wir ihm eine lange Kordel an seinem Halsband und banden sie an unsere Kutsche. Wir Jungs liefen voraus und riefen den Hund, der uns nun mit seiner Last am Hals hechelnd folgte. Dass die Kutsche dabei natürlich immer wieder umfiel und sich im Wald zwischen den Bäumen verhedderte, tat unserm Vorhaben keinen Abbruch.
Wir vergruben unsere Kutsche und warteten auf die Wertsteigerung. Dann waren wir des Wartens jedoch müde, zweihundert Jahre waren uns doch zu lang, und wir gruben die Kutsche wieder aus.
Es gab noch andere Schätze zu entdecken. Inzwischen hatten wir in der Schule beim Geschichtsunterricht gelernt, dass unser Dorf Beessleck früher schon bei den Römern bekannt war und es eins der ältesten Dörfer des Landes sei. Anscheinend hatte sogar Karl der Große in unserm Dorf ein Jagdschloss. Außerdem kreuzten zwei große Römerstraßen unser Dorf, eine nach Aachen, die andere nach Bastogne. Und Geschichtsforscher hatten festgestellt, dass es im Dorf viele alte Bruchsteinmauern gab, welche möglicherweise aus dieser Zeit stammten. Inzwischen gibt es die Mauern nicht mehr, die jeweiligen Anlieger haben die Steine dieser Mauern längst als Baumaterial gebraucht.
Also, wir Jungs sagten uns, wenn hier eine Burg stand oder ein römischer Tempel, der Platz hinter unserm Haus hieß „Tömmel“, so konnten sich vielleicht bei uns Goldstücke befinden. Wir fingen an zu graben. Das Loch war inzwischen mehr als zwei Meter, und es wurde immer schwieriger das Erdreich rauszubekom-men. Da sich das Ende der großen Ferien näherte, bestanden meine Eltern darauf, mit dem Buddeln aufzuhören und das Loch wieder zuzuschütten. Leider blieb der Traum vom Schatz ein Traum.
Als ich meine Angst vor Hunden überwand
Ich war, glaube ich, im ersten oder zweiten Schuljahr, also 1953-1955. Ich ging jeden Morgen auf dem Weg zur Schule bei Prees, einem Nachbarhof, vorbei. Prees hatten einen Hund, den üblichen Straßenköter. Dieser Hund verfolgte mich jeden Morgen und es war täglich ein Hoffen, dass der Hund nicht da sei, oder einen Sprint an dem Haus vorbei. Eines Tages jedoch war - oh welch ein Wunder - der Hund angekettet. Also konnte er mir nichts antun. Ungefähr 10 bis 20 Meter vom Hund entfernt lag ein Haufen Schlacken (Steine für den Straßenbau). Ich überlegte nicht lange und bewarf den Hund mit diesen Steinen, und das mit aller Kraft, die ich mit meinen 7-8 Jahren hatte. Der Hund jaulte vor Schmerzen, aber ich blieb unerbittlich, bis ich dachte, jetzt ist es genug. Am nächten Tag, als ich am Hund vorbei ging, war dieser nicht angekettet. Aber ich hatte keine Angst mehr, da ich mir vorsichtshalber einige Steine in die Hosentasche gesteckt hatte, die ich mit voller Kraft auf den Hund warf. Wie ein Blitz war der Hund weg und meine Angst vor Hunden auch. Danach brauchte ich keine Steine mehr, um mich gegen Hunde zu verteidigen. Wenn ein Hund mir nachlaufen wollte, tat ich so, als würde ich einen Stein aufheben und schon war der Hund weg.
Kräftemessen
Ich glaube, ich war 8 Jahre alt. Wenn ein Nachbarjunge bei uns zum Spielen kam, gab es zwischen uns oft Schlägereien, wie das so bei Kindern ist. Und immer zog ich den Kürzeren und lief weinend weg. Doch eines Tages nahm ich mir fest vor, nicht klein beizugeben, sondern den andern Jungen richtig zu verhauen, was ich dann auch tat. Ich habe wild auf ihn eingeschlagen und ich bezwang ihn mit aller Kraft, die ich hatte. Er war unter mir und ich war der Sieger. So lief er weinend nach Hause. Mir tat jeder Muskel weh, aber danach hat kein Junge mich mehr fertig gemacht. Ich habe mich immer verteidigt, auch wenn schon mal die Fetzen flogen.
Meine erste Erfahrung mit dem lebendigen Gott
Ich lebte in einer traditionell gläubigen katholischen Familie. Mit acht Jahren habe ich meine erste Hl Kommunion gemacht. Ich erinnere mich dass wir viel im Kommunionsuntericht lernen mussten und der Pfarrer uns dauert sagte, wir müssten Gott lieben. Aber den kannte ich nicht, wie sollte ich jemand lieb haben, den ich nicht kannte. Am Tage vor dem großen Fest, mir wurde gesagt, es wäre mein Fest. So wurde alles geschrubbt und unser Hof gekehrt, alles musste gut aussehen, es kamen ja viele Verwandte.
Ich sollte mich auf den Tag freuen und ich erinnere mich sehr gut, bei einer kleinen Arbeit hinter unserm Haus - ich sollte alte Fließen aufräumen - dachte ich: "Was wird morgen geschehen?"
Wenn ich auch der Mittelpunkt des Tages war, für mich blieb die Frage blieb offen was die Kommunion bedeuten sollte.
In den 50er Jahren ging noch jeder zur Kirche. Ich kann mich erinnern, dass es nur einen Mann im Dorf gab, der nicht zur Kirche ging. Er hatte keine geregelte Arbeit und wir sagten, das ist sicher ein Kommunist. Die Kommunisten, so hörte man, waren böse Menschen, und glücklicherweise schützte uns der „Eiserne Vorhang“ vor diesen Leuten. Der "Eiserne Vorhang" war die stark befestigte Grenze von Russland zu uns. Die Mauer in Deutschland wurde erst später gebaut, aber man ging einfach nicht in den Osten und von dort kamen auch keine Menschen zu uns. Diese Leute waren „eingesperrt“ und einfach „böse“ in unseren Augen. Wir waren schließlich die guten Katholiken, alle anderen Religionen waren falsch. Übrigens kannte man bei uns keine Protestanten.
So gab es bei uns das tägliche Tischgebet, und beim Aufstehen und Schlafengehen machte man mit Weihwasser das Kreuzzeichen. Ich flitzte nach oben, bekreuzigte mich ruckzug mit Weihwasser und war schon mit meinen Schwestern bei Monni Jean im Zimmer. Er kaufte jede Woche eine Tüte Bonbons, und wir erhielten jeden Abend beim Schlafengehen eine Zuckerbohne. So waren die mit Schokolade natürlich am ersten Tag weg und zum Schluss gab es nur noch die „Grünen“. Diese schmeckten uns am wenigsten, aber immer noch besser als keine. Dann ging‘s ins Bett. Das Zähneputzen war noch unbekannt.
Eines Abends, als ich mich bekreuzigte, sagte meine ältere Schwester zu mir: „Wenn du das Kreuzzeichen machst, musst du sagen: Es segne mich Gott der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Du musst das andächtig machen, denn Du redest mit Gott.“ Seit diesem Abend habe ich täglich mit meinen eigenen Wörtern zu Gott gebetet.
Ich weiß noch von einem meiner täglichen Gebete: Ich betete, dass Gott meine Eltern beschützen solle, dass ich später eine gute Frau finden solle und dass Gott mir in allem beistehen solle. Ich war damals acht oder neun Jahre alt und bin eigentlich sehr fromm geworden. Ich wurde Messdiener, und in der Kirche betete ich oft, dass ich eine Erscheinung hätte. Ich schaute in die bunten Kirchenfenster und versuchte dort die Muttergottes zu sehen… Als ich dann im letzten Schuljahr war, drängte mich der Pfarrer, nach Clairefontaine in die Schule zu gehen und Priester zu werden.
Nun betete ich schon seit Jahren für eine gute Frau… also kam das Priesteramt für mich nicht in Frage, da ein Priester nicht heiraten konnte. Die gleiche Frage stellte man mir, als ich im Internat war, und ich gab zur Antwort, nein, Priester wollte ich nicht werden, ich wollte heiraten. Ich wäre schon gerne Geistlicher geworden, wenn das Zölibat nicht gewesen wäre.
Meine Schwestern
Mit Margot, meiner jüngere Schwester, sie ist 4 Jahre jünger als ich, hatte ich ein System entwickelt mit dem ich alles bei ihr erreichte. Wenn ich etwas oben in meinem Schlafzimmer vergessen hatte und selber zu faul war es mir holen zu gehen, fragte ich Margot um diese Gefälligkeit. So sagte ich zu ihr: ich zähle bis zehn und dann bist Du zurück…
Natürlich zählte ich immer so langsam, dass ich bei neun ein halb war, wenn sie wieder vor mir stand. Sie war immer sehr zufrieden, dass sie so schnell war und kam nicht hinter meine Schliche…bis sie selber in meinem Alter kam.
Maria, die fünf Jahre älter ist, war immer ein sehr ruhiges Mädchen und hat sich immer gut angepasst. Sie hatte eine hervorragende Eigenschaft: Sie konnte vorzüglich backen. Ich erinnere mich als ich mit 13 ins Internat kam erhielt ich immer wenn meine Eltern mich besuchten (dies war meist mein Vater) von Maria einige Gläser „Parfait au Chocolas“. Das war ein sehr leckerer Dessert den ich mir auf´s Brot strich. Wenn ich ein Glas aufmachte hatte ich besonders viele Freunde und im Nu war das Glas leer.
Nun kommt für mich ein neuer Lebensabschnitt. Ich wurde 13 Jahre alt und für mich hieß das: Nun bin ich kein Kind mehr, sondern ein Jugendlicher.
Im Internat
Mein Vater wollte dass ich französisch lerne und darum noch Belgien zur Schule gehen solle. So fuhren mein Vater und ich eines Sonntags Nachmittag nach Beho, wo der dortige Pfarrer uns in seinem Auto mit nach Farnières zu einer landwirtschaftlichen Schule mit Internat begleitete. Dort wurde uns alles gezeigt und als mein Vater mich nachher fragte wie es mir gefalle, sagte ich spontan, gut.
Und so ging es dann am 15. September 1959 mit dem Zug nach Farnières. Es war eine salesianische Schule, deren Gründer der italienischer Pfarrer, Don Bosco war. Die Schule war in einem ehemaligen Schloss angebaut, so dass es für mich einfachen Bauernjungen sehr beeindrückend war. Alles ging auf französisch und alles musste auswendig gelernt werden. Das war nicht einfach für mich, doch nach einem Jahr war ich schon Klassenbester. Ich war aber nicht der einzige der wenig französisch verstand.
Aus unserm Dorf war mein halber Vetter Nikolas dabei und es gab über ein Dutzend Jungen aus Ostbelgien und aus Ourthe, wo deutsch oder platt geredet wurde. So hatten wir schnell unsere Clique, da die Wallonen uns nicht verstanden. Es gab dort eine Jugendgruppe der ich mich anschloss und im zweiten Jahr war ich schon Leiter und gab meine ersten Versprechen feierlich ab.
Dies Versprechen bei denen man ein Abzeichen erhielt, beinhaltete christliche Regeln die es zu halten gilt.
Natürlich wurde ich mal wieder auf den priesterlichen Beruf hingewiesen, was ich ablehnte mit der Begründung, dass ich heiraten würde. Inzwischen war ich auch in der Pubertät angelangt und musste mich mit meiner Sexualität herumschlagen. Leider machte ich dort auch eine unangenehme Erfahrung. Ein junger Mann, welcher dort seine priesterliche Ausbildung machte und schon ins Kloster eingetreten war versuchte bei mir anzubändeln. Glücklicherweise flogen seine Annäherungsversuche auf und der Mann verschwand.
Unter dem Schloss und Schulgebäude befanden sich weitläufige Keller, wo Kartoffeln und Nahrungsmittel aufbewahrt wurden. Dort gab es immer Ratten. Diese versuchten immer wieder in den Speisesaal einzudringen. Ich erinnere mich, als wir eines Abends in den Speisesaal hineingingen mir eine Ratte über die Füße sprang. Schnell trat ich mit dem Fuß auf den Schwanz der Ratte während ein anderer Junge immer wieder auf das Tier trat…bis sie tot war.
Es gab an der Schule auch einen Bauernhof wo wir das Praktische erlernen sollten. Dort lebte eine Familie welche den Hof bewirtschaftete. Ein junges 14 oder 15 jähriges Mädchen, die Tochter des Pächter, hatte die Aufgabe, in einem Ofen im Hof das Feuer anzuzünden und in Stand zu halten. Der Ofen war zum Kochen der Futterkartoffeln bestimmt.
Was taten wir? Wenn das Feuer gut brannte, schmiss einer von uns einen Eimer Wasser hinein, worauf das Feuer natürlich erlosch. Wir lauerten dann um die Ecke um zu sehen wenn das Mädchen nach dem Feuer schauen kam und es erneut anzündete. Nach einigen Tagen flog die Sache auf und der Vater des Mädchens rannte wutentbrannt zu unserm Direktor um uns Jungs anzuzeigen. Alle die dort auf den Hof arbeiteten wurden anschließen einzeln zum Direktor gerufen. Aber wir haben alle dicht gehalten…und haben kein Wasser mehr ins Feuer geschüttet.
Meine Jugend in Beesleek
Nach einigen Jahren Internat und einem guten Abschluss kehrte ich nach Hause zurück.
Kurz danach erkrankte mein Vater an Krebs verstarb nach einigen Monaten im Alter von knapp 61 Jahren, dies war 1962.
Meine Mutter war wie am Boden zerstört. Sie war erst 46 Jahre und musste nun als Witwe mit drei minderjährigen Kindern und 2 Schwagern den Hof weiterführen. Ich merkte, dass sie obwohl sie alle anfallenden Arbeiten stillschweigend verrichtete, heimlich weinte. Am nächsten Muttertag, vielleicht ein oder zwei Monaten nach dem Tode meines Vaters, schenkte ein Onkel von mir meiner Mutter eine Tafel Schokolade - die sie nicht annahm - und fragte sie kurz danach ob sie ihn nicht heiraten wollte. Wir Kinder waren verstört und unsere Mutter klagte über ihre Not und den Verlust unseres Vaters. Natürlich wies meine Mutter diesen Antrag zurück. Es gab nie mehr einen Mann in ihrem Leben. Sie sagte manchmal, so einen Mann wie Eugen würde es nie mehr geben.
So ging das Leben weiter. Ich war erst 16 und hätte einen Vater gebraucht. Mein Vater hatte immer den Hof geführt und die Onkels machten nur jeweils ihre gewohnten Arbeiten.
So versuchte ich die in der Schule erworbene Kenntnisse in die Tat um zusetzen. Ich legte ein Heft an in dem ich alle unsere Felder eintrug. Ja, ich fing an Buch zu führen über meine Arbeit im Betrieb. Dies galt nicht nur für die Felder. Auch die Kühe wurden einzeln eingetragen, wenn es auch schon ein offizielles Heft gab. Da ich nun etwas von Dünger verstand musste ich herausfinden wie viel Dünger die Felder brauchten. So nahm ich von jedem Feld Proben und ließ sie untersuchen. Dementsprechend streute ich im Frühjahr die Dünger aus. Desgleichen galt für die Fruchtfolge.
Meine beiden Onkels, die über 40 Jahre älter als ich waren und die sich vorher um diese Dünger kümmerten, wurden nicht von mir gefragt. Ich hatte ja Landwirtschaft studiert und hatte mir zusätzlich verschiedene Bücher besorgt. So kaufte ich dann fürs nächste Frühjahr die dreifache Menge der Dünger ein als vorher. Meine Onkels tobten:" Alles wird in den Boden fallen und wir werden nichts ernten können", argumentierten sie. Ich ließ mich davon nicht beirren. Was gab das für eine Ernte! Da staunten alle, zwei bis drei mal soviel Heu und doppelt soviel Getreide. Wir hatten Mühe alles in die Scheunen zu bekommen.
In dieser Zeit machte ich auch meinen Traktor- und Moped Führerschein und wurde stolzer Fahrer eines NSU TT Moped. Das Moped sah sehr rassig aus, war aber in seiner Motorleistung ziemlich schwach, es hatte nur zwei Ps und fuhr wenn es keinen Gegenwind gab, maximal 60 km/St. Aber es gab mir und auch meinen Freunden im Dorf, welche einer nach dem andern einen fahrbaren Untersatz erwarb, doch nun die Freiheit überall hinzufahren.
So ging es mal ins Kino nach Troisvierges oder Gouvy, ein anderes Mal zum Ball. Es gab damals außer einem Helm keine Motoradkleidung und so fuhren wir bei jedem Wetter im Anzug mit weißem Hemd und Schlips zum Ball. So merkten die Mädchen nicht, dass wir noch kein Auto hatten. Ich erinnere mich, dass wir einmal nach Gouvy ins Kino fuhren. Wir waren mit zwei Mopeds unterwegs und jeder hatte einen Mitfahrer auf dem Hintersitz. Unterwegs bei Limerlé, fiel eine Maschine aus. Kein Problem, wir hatten für diese Fälle immer einen Strick dabei. So schleppte ein Moped das andere mit. Ein anderes Mal fiel plötzlich bei meinem Moped das Licht aus. Glücklicherweise waren wir zu zwei Motorräder unterwegs. So fuhr ich mit meinem unbeleuchteten Fahrzeug unmittelbar vor dem Moped des andern und wir kamen auch an diesem Abend zu unserm Kinofilm. Es war die Zeit der Schlagerfilme und wir kannten sie alle. Danach die Edgar Wallace Krimis. Diese waren ab 16 zugelassen und wir hatten glücklicherweise dieses Alter erreicht. Filme mit Sexeinlagen gab es nicht. Als ich einmal einen Piratenfilm sah und es so aussah als würde der böse Pirat die schöne Gefangene vergewaltigen, war ich so aufgeregt, dass mir der Schweiß ausging. Natürlich wurde die holde Braut im letzten Augenblick befreit.
Die ersten Mädchenbekanntschaften
Mit 17 verliebte ich mich dann und fuhr jeden Sonntag mein Mädchen besuchen. Meine Mutter war außer sich. So jung und schon eine „Fréiisch“. So sagte man damals in Luxemburg für eine feste Freundin.Und anscheinend war sie nicht aus einem guten Hause. Für mich war es aber die große Liebe und es gab die ersten Küsse. Mehr nicht, Sex mit einem Mädchen war tabu, das gab es nur in der Ehe. Nach einigen Monaten hatte das Mädchen genug von mir, oder war ich ihr zu brav? Das letzte Mal als ich mit meinem Moped zu ihr fuhr, merkte ich dass sie nicht mehr wollte. Als ich spät in der Nacht nach Hause fuhr, nahm ich irgendwo eine Abkürzung und verirrte mich total. Es war dichter Nebel und ich musste manchmal das Moped über einen Zaun heben, so sehr hatte ich mich verfahren. Es war fast fünf Uhr Morgens als ich nach Hause kam. Diese Irrfahrt hat mir anscheinend nicht geschadet, sondern eher gut getan, denn das Mädchen war ab diesem Tag für mich kein Thema mehr.
Einige Zeit später gab es nochmals ein Mädchen, das auch nicht die Richtige für mich war. Diese Bekanntschaften waren für mich eine lehrreiche Erfahrung. Ich suchte nie nur ein Abenteuer, sondern eine Frau fürs Leben.So beschloss ich nun wenigstens ein Jahr lang kein Mädchen mehr zu küssen….
Dieser Entschluss führte dazu, dass ich selbstsicherer wurde und dass niemals mehr ein Mädchen so einfach Schluss mit mir machen würde. Also ging ich weiter jeden Samstag und Sonntag zum Tanzen. Die Bälle, wie man die Tanzveranstaltungen nannte, liefen folgendermaßen ab: Die Mädchen saßen mit ihren Eltern oder älteren Geschwistern am Tisch. Dort saßen meistens auch die Mädchen welche einen Verlobten bei sich hatten.
Im Saal spielte eine Musikkapelle und wenn zum Tanz aufgespielt wurde, strömten die Jungs zu den Mädchen und forderten diese zum Tanz auf. Manche Mädchen, welche gut aussahen, wurden natürlich mehr zum Tanzen aufgefordert als die „Mauerblümchen“ und so musste man schon sehr fix sein um die begehrten Mädchen zum Tanz zu erhalten. Ich hatte es mir zur Regel gemacht niemals ein Mädchen das ich zum ersten male fragte, um einen Tango zu bitten. Beim Tango oder Slow drückten viele Jungs ihre Partnerin an sich und ich fand das nicht in Ordnung, es sei denn es war die „Fréiisch“.
So passte ich immer auf wenn die Musik sich bereit machte zu spielen ob es ein Marsch sei. Den konnte ich am besten und so blamierte ich mich nicht wenn ich ein Mädchen zum Tanzen aufforderte. Manche Mädchen waren so begehrt dass die Jungs die Tänze bei ihnen reservierten. Wenn ich dann beim ersten Takt, den die Kapelle spielte, zu dem Mädchen losstürmte und dieses bei meinem Herannahen zu verstehen gab, dass der Tanz schon vergeben war, fragte ich um den nächsten oder übernächsten Tanz indem ich mit zwei oder drei Finger anzeigte dass ich einen Tanz reservieren wollte. Das klappte eigentlich gut und da ich lieber tanzte als Bier zu trinken, hatte ich immer die hübschesten Tanzpartnerinnen. Und so sah ich eines Abend in Grüfflingen ein Mädchen, welches irgendwie anders gekleidet war, nicht so wie die Eifel-Mädchen. Als ich sie beim Tanz fragte wo sie denn her sei, antwortete sie mir: "aus Wien". Ich tanzte den ganzen Abend mit ihr und als ich um ihre Adresse fragt, weil ich ihr schreiben wollte, sagte sie zu mir: "Wir sollten raus gehen und dort die Adressen tauschen". Das blieb auch dabei, ich hatte mir ja vorgenommen wenigstens ein Jahr lang kein Mädchen zu küssen. Sie erzählte mir später in einem Brief, dass sie sehr erstaunt gewesen sei, dass ich nicht versucht hätte sie zu küssen. Sie ist heute noch eine liebe Freundin unserer Familie. So habe ich in dieser Zeit viele Mädchen kennengelernt. Es reichte mir immer wenn ich merkte dass ich ihnen gefiel…und dabei blieb es dann auch.
Mein erstes Auto
Ich wurde 18 und machte den Autoführerschein. Für unsere Klicke, alles Bauersöhne, war das kein Problem. Jeder konnte sich mit einem Fahrzeug bewegen und so brauchten wir nur das Minimum der Fahrstunden - nämlich vier Stunden - zu absolvieren und bekamen alle auf Anhieb den Führerschein.
Dann kam die große Diskussion: Welches Auto? Und so saßen wir Jungs viele Abende zusammen und lasen in den Autozeitschriften, welches Auto wohl der beste sei…Ich entschied mich mein erstes Auto zu kaufen.
Als dann der Autoverkäufer den Wagen zu mir nach Hause brachte, war ich platt vor Freude über mein Traumauto, ein Fiat 1500. Obwohl Schnee lag und ich keine Fahrerfahrung hatte, fuhr ich den Mann nach Hause. Am nächsten Tag war Karneval und so ging es am Nachmittag nach Sankt Vith zum Karnavals-Umzug und am Abend nach Grüfflingen zum Ball, am Montag zum Umzug nach Oudler, anschließend Abends wieder nach Burg-Reuland zum Tanzen.
So wurde das Auto eingeweiht. Es hatte stolze 83 Ps und fuhr mit etwas Rückenwind, 180 km Stunde! Ich testete dies auch einige male auf eimer Autobahn in Deutschland, in Luxembourg gab es in dieser Zeit noch keine Autobahn. Nun gab es keine Grenzen mehr für uns Jungs. Am Anfang war ich der einzige aus unserer Klicke mit einem Auto und mir war irgendwie klar, dass ich keinen Alkohol trinken würde wenn ich Auto fuhr.
Dies haben wir alle die wir ein Auto bekamen einige Jahre durchgehalten. So gab es in dieser Zeit bei uns keine Unfälle obwohl ich oft sehr schnell fuhr.
Auch Jungs sind Eitel
Im Alter von 16-17 Jahren hatten wir alle außer einem Jungen (der Glückliche!) Probleme mit unserer Haut. Pickel, schwarze Pünktchen usw. verunstalteten das Gesicht. Ich weiß noch, dass ich jedes Mal wenn ich an einem Spiegel vorbei kam, hineinschaute, ob es noch nicht besser sei. Einer von uns Jungs, besorgte ein kleines Gerät mit dem man den schwarzen Punkten, das Mitesser waren, zu Leibe rücken konnten. Und wir drückten mit dem metallenen Stäbchen, das an einer Seite ein Loch hatte, auf die schwarzen Dinger herum und versuchten sie rauszubekommen. Auch wussten wir dass man danach die Stelle mit Alkohol zu desinfizieren hatte. Ich besorgte mir sogar in großer Menge B 12 Vitamine (Bierhefe). Ja die Not war bei mir so groß, dass ich sogar versuchte mit Gesichtspuder meiner älteren Schwester mein Aussehen zu verbessern. Ich hatte jedoch vergessen, dass durch das Schwitzen beim Tanzen sich die Puder in eine unansehnliche Brühe verwandelte. Glücklicherweise machte mich ein Junge darauf aufmerksam, so dass ich mich nicht mehr des Puders meiner Schwester bediente.
Die große Liebe
Ich war achtzehn und es war Kirmes in Burgreuland.
Meine Mutter hatte mir eine Jacke mit Reisverschluss gestrickt, dazu trug ich ein blaues Nylonhemd und fühlte mich topfit. Ich erinnere mich, dass dort auf dem Ball ein junges Mädchen anwesend war, das ich noch nie gesehen hatte. Ich nahm mir vor, sie zum Tanzen aufzufordern, doch irgendwie kam es nicht dazu. Es gab dort ein anderes Mädchen, bei dem ich merkte dass ich gute Chancen hatte. Aber irgendwie war sie nicht mein Typ. Am Neujahrstag fuhr ich wieder nach Burg-Reuland. Das Mädchen war auch da. Und ich weiß es noch heute ganz genau: als dieses Mädchen an mir vorbeitanzte und unsere Blicke sich trafen, einige Sekunden zu lange, da wusste ich hundertprozentig, bei der habe ich eine Chance.
So habe ich an diesem Abend einige Male mit ihr getanzt. Das nächste Mal als ich sie sah, tanzte ich wieder mit ihr. Es war nicht leicht mit ihr zu reden, sie war sehr schüchtern und sie verstand nicht immer was ich meinte. Mein Luxemburger Dialekt war etwas anders als das Ostbelgische. Ich hatte mich etwas umgehört über die Familie. Man sagte mir dass ihre Eltern ein Geschäft hätten und außer dem zwei Lohnmähdrescher. Als ich sie nach den Mähdreschern fragte, verstand sie mich nicht und gab eine ausweichende Antwort. Später sagte sie mir, sie hätte mich so verstanden, dass ich nach den Mädchen ihrer Familie gefragt hätte und dass sie dies doch blöd gefunden hätte. Dann kam der Karneval. Wie schon berichtet fuhr ich Karnevalssonntag mit meinem Auto nach Grüfflingen zum Ball. Dort gab es ein Mädchen, was mir gut gefiel und mit der ich immer wieder tanzte. Das tat ich auch an diesem Abend. Aber das Küssenabstinenzjahr war noch nicht vorbei. Am Karnevalsmontag fragte ich mich; wo soll ich zum Tanzen hinfahren. Ich entschied mich für Burg-Reuland. Vielleicht wartete dort das Mädchen, das ich nun auch mit ihrem Namen Gertrud, kannte? An diesem Abend, es war der 13. Februar 1965 fiel die Entscheidung für meine heutige Frau. Und ich habe es nie bereut!
Hier endet meine Kindheit und Jugend und es fing ein neuer Lebensabschnitt an.
Arno Bourggraff
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